Wednesday, June 20, 2007

Das Gegenteil

von Neoliberalismus ist die Sozialdemokratie. Sagt Kurt Beck in einem programmatischen 12.000-Wörter-Aufsatz ganzseitig in der FAZ vom letzten Montag. Lauscht man den Reden auf dem Wiedervereinigungsevent der Rechtsnachfolgerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, so ist das Gegenteil von Neoliberalismus Sozialismus. Das provoziert die Frage, worin besteht der Unterschied zwischen Sozialdemokratie und demokratischen Sozialismus, der sich mindestens als Worthülse auch im Grundsatzprogramm der SPD findet. Und den good old Hans-Jochen Vogel (der mit der Klarsichthülle) seiner Partei empfiehlt. Lafontaine, Gysi, Bisky und dem wegen seiner DDR-Vergangenheit als SED-Bezirkssekretär „abgestraften“ (O-Ton in seiner Begrüssungsrede der dritten Tagung des 10. Parteitags der Partei des Demokratischen Sozialismus – die Linke) Hans Modrow kann man nicht vorwerfen, sie hätten nicht gesagt, was sie wollen. Die freudige Unterstützung von Chavez, Morales und den anderen "Unterdrückten" des südamerikanischen Kontinents, die Demokratische Kontrolle des Eigentums und die Verstaatlichung und „Kommunalisierung“ von ganzen Wirtschaftszweigen beenden die Chance auf individuelle Freiheit nachhaltig. Um die Schnittmengen zwischen Christsozialen, Sozialdemokraten und demokratischen Sozialisten besser zu begreifen, ist es wohl am einfachsten, zu beschreiben, wogegen sie gemeinsam sind. Vielleicht lässt sich daraus erkennen, was sie wirklich wollen. Und was dieser Willen produziert.

Was also ist „Neoliberalismus“ wirklich ?

In den dreissiger Jahren, als es um die Sache der Freiheit wohl nicht gut bestellt war, war die Diskussion zwischen unabhängigen und liberalen Geistern heftig, ob der bisherige „Laissez-Faire“ – Liberalismus in der Lage wäre, noch einmal die kollektivistischen Diktaturen wie den real existierenden oder den Nationalsozialismus zurück zu drängen. Hinzu kam die Erkenntnis, dass ein völlig freier Wettbewerb auch aufgrund unterschiedlicher Ausgangsbedingungen nicht zu einem angestrebten ideellen Gleichgewicht führt, sondern zu Verzerrung, marktbeherrschenden Stellungen und Kartellen, die in der Lage sind, ihre Interessen gegen andere durch zu setzen.

Das Ergebnis: Wettbewerb braucht Regeln. Die die Freiheit des Schwachen schützen, vor der Mehrheit, vor dem Starken und vor dem potentiellen Monopolisten. Alexander Rüstow prägte für diese Idee der Garantie der individuellen Freiheit den Begriff NEOLIBERALISMUS auf dem Colloque Walter Lippmann, an dem zahlreiche Intellektuelle aus allen Herren Länder teilnahmen.

Im gleichen Jahr veröffentlichte Walter Eucken, ordentlicher Professor im nationalsozialistischen Deutschland das Manifest des späteren Ordoliberalismus: „Die Grundlagen der Nationalökonomie“. Dringendster Lesebefehl.

In einer Zeit, in der spätere tragende Säulen unserer Demokratie noch in der Reiter-SA Dienst tun oder zur vermeintlichen Erlangung eines Studienabschlusses der NSDAP beitreten, veröffentlicht der ordentliche Professor an der Universität Freiburg unter dem Rektor Martin Heidegger eine neue Definition von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, die zwangsweise den real existierenden Sozialismus und den Nationalsozialismus als Ideologie verklären und die Wirkungsweise ihrer Wirtschaftssysteme auf eine Stufe stellt.

Beides sind nach Eucken Zentralverwaltungswirtschaften, bei denen ein zentraler Plan den Wirtschaftssubjekten aufzwingt, wie sie sich zu verhalten haben. Dabei ist egal, wie die Zentrale legitimiert ist oder welche Ideologie sie verfolgt. Entscheidend ist, dass die Zentrale jeden einzelnen zwingen muss, den Plan auch dann zu verfolgen, wenn er nicht den Interessen des Bürgers oder des einzelnen Betriebes entspricht.

Eine Marktwirtschaft setzt deshalb voraus, dass die Bürger frei über ihr Eigentum verfügen können. Nur in diesem Fall besteht die Möglichkeit, im Rahmen eines Wettbewerbs selbst zu entscheiden, zu welchem Preis an welchen Geschäftspartner ein Produkt veräussert oder eine Dienstleistung angeboten, gekauft oder in Anspruch genommen werden soll.

Die Hoffnung, dass der zweite Weltkrieg Europa von der Zwangswirtschaft befreit, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil. Waffenbewehrt verwandelte sich sein Ende zum Siegeszug des Stalinismus durch Halb Europa. Ein ähnlicher Kreis wie 1939 sammelte sich am Fuß des Mont Pélerin um zu diskutieren, wie der damals möglich erscheinende „Weg in die Knechtschaft“ (F.A. von Hayek) abgewendet werden könnte. Der nach dem Berg benannte Think-Tank war geboren. Für die ineternationale Reputation der Mont Pelerin Society spricht die Tatsache, dass nicht Popper, Eucken oder Ludwig Erhard auf der Seite der notable Members aufgeführt werden, sondern lediglich die acht Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften.

Zwei Jahre später führt Ludwig Erhard im Handstreich das ein, was später Wirtschaftswunder genannt werden wird (Erhard: Es gibt keine Wunder). An einem Sonntag-Nachmittag verkündet der damalige Beamte der Verwaltung der von den Westmächten besetzten Alliierten das Ende der Zwangswirtschaft. Als Lucius D. Clay ihm am nächsten Tag vorwirft, alliertes Recht eigenhändig verändert zu haben, meint er lakonisch: „Ich habe es abgeschafft.“

Das Ende der sozialen Marktwirtschaft beginnt schon 1957 mit der von Erhard eingeführten umlagefinanzierten dynamischen Rente. Und mit ihr beginnt Deutschlands schleichender Abstieg. Meint jedenfalls Gabor Steingart in seinem ersten Buch "Deutschland, der Abstieg eines Superstars" 2004. Endgültig zu Ende geht das neoliberale Zeitalter in Deutschland schon 1967 mit dem Erlass des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes durch die große Koalition. Dieser in Gesetzestext gegossene Keynesianismus gibt der Wirtschaftspolitik fortan vier Ziele vor, die vor seinem Erlass in schöner Regelmässigkeit fast alle erreicht wurden. Danach nie: Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und ein ausgeglichenes Budget. Lediglich die Preisstabilität wurde regelmässig erreicht: Durch die (Neoliberale) monetaristische Politik der unabhängigen Bundesbank.

Vierzig Jahre später haben wir mehr als 5 Millionen Menschen ohne Arbeit und rund 7 Billionen € Staatsschulden. Das Wachstum blieb in den vergangenen Jahrzehnten so weit hinter dem europäischem Durchschnitt zurück, dass in Großbritannien oder Spanien höhere Durchschnittseinkommen erzielt werden wie in Deutschland.

Die „Entprivatisierung“ der grossen Risiken durch die umlagefinanzierte Sozialversicherung führte in Wahrheit zu einer schleichenden Enteignung insbesondere der mittleren und unteren Einkommensschichten, die durchschnittlich rund 60 % ihres erwirtschafteten Einkommens für Steuern und Sozialversicherungsabgaben (inkl. des „Arbeitgeberanteils“) abgeben mussten und so von jeder privaten Kapitalbildung ausgeschlossen wurden, weil sie das verbleibende Geld für den Lebensunterhalt brauchten. Über ihr Einkommen entschieden sie nicht mehr selbst, sondern der demokratisch legitimierte Gesetzgeber und allerlei Selbstverwaltungsorgane vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit bis hin zum Fernsehrat (Rat heißt auf Russisch übrigens Sowjet).

Heute leben wir in einer Zentralverwaltungswirtschaft mit einem überbordenden Bürokratiemoloch und einem schrumpfenden marktwirtschaftlichen Ausnahmebereich, der mit seiner Wertschöpfung das Ganze finanziert. Erschwerend kommt hinzu, dass ein erheblicher Teil dieses marktwirtschaftlichen Bereichs aufgrund des hohen Kostendrucks für das, was landläufig Sozialstaat genannt wird, und ein Sozialbudget von rund 700 Mrd € (rund die Hälfte des Bruttoinlandproduktes) sich wahlweise ins Ausland oder in die Schattenwirtschaft verabschiedet.

Auch der amerikanischen Ausprägung des Neo-Liberalismus kann man keine soziale Kälte unterstellen. Sie wollen nicht keinen Staat, sondern weniger Staat als die Neo-Marxistisch geprägten Gleichgewichtstheoretiker und Sozialisten. Milton Friedman etwa wollte nicht nur die Sozialbürokratie mit der negativen Einkommenssteuer verringern, in dem nur noch das Finanzamt Steuerlast und Anspruch auf Transferleistungen ausrechnet und die Differenz fordert oder einzahlt. Sondern auch denen, die nicht in der Lage sind ihr Einkommen vollständig selbst zu erwirtschaften, ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Auch ist sich die neoliberale Schule mit den „Globalisierungskritikern“ durchaus einig, dass eine weltweit verflochtende Wirtschaft Regeln braucht. Das Leitmedium des „Neoliberalismus“, der britische Economist hat ein Holzboot auf vertrocknetem Boden veröffentlicht, als die DOHA-Runde der Welthandelsorganisation an den Industriestaaten scheiterte, die ihre Märkte nicht für Agrarprodukte öffnen und die entsprechenden Subventionen insbesondere auf den Export in die Dritte Welt nicht abschaffen wollten. Verloren haben diejenigen, die gar nicht an der Globalisierung beteiligt werden. Und die Welthandelsorganisation taucht in den Feindbildern gar nicht auf. Warum nur ?

Wer den Neoliberalismus als wenig geerdet bezeichnet, wie Kurt Beck, hat wohl mehr als nur eine Bildungslücke. Wer ihn als „Marktradikalismus“ diffamiert, wie Oskar Lafontaine, weiß bestenfalls nicht, wo von er redet. Von einer kleinen Anzahl großer Männer, die in schwerer Zeit gegen den herrschenden "Zeitgeist" geistige Größe bewahrt haben und deren Theorien und Wissenschaft dazu geführt hat, dass wir heute wissen, wie wir die Freiheit der Schwachen schützen könnten.

Beck, Lafontaine, Sommer, Bsirske und wie sie alle heissen, sei gesagt: Das Gegenteil von Freiheit ist Unfreiheit. Das Gegenteil einer Wettbewerbswirtschaft ist die Zentralverwaltungswirtschaft, das Gegenteil eines freiheitlichen Rechtsstaates ist eine Diktatur und das Gegenteil von Privat ist die „Entprivatisierung“, wie der Wirtschaftsweise Rürup so etwas nennt. Wer gegen den Neoliberalismus polemisiert ist für die Unfreiheit aller Menschen. So lange es einen gibt, der keinen „Sozialismus“ will, muss der dazu gezwungen werden. Selbst wenn er alleine steht oder eine Minderheit ausmacht. Dazwischen gibt es nichts.

Monday, June 11, 2007

Große Taschen

Als der Chef der Deutschen Entwicklungsbank DEG in den 80iger Jahren auf einem Empfang in Afrika gefragt wurde, was ihm am schwarzen Kontinent am meisten gefiel, antwortete er: Die prächtigen Stammesgewänder und Landestrachten. Mit stolz geschwellter Brust nahmen die zahlreichen anwesenden Potentaten und Diktatoren die vermeintliche Lobpreisung entgegen, bevor der Mann nachsetzte: Die haben so große Taschen.

Die werden nach dem Gipfel in Heiligendamm noch praller gefüllt, ohne dass notwendigerweise mit den bewilligten 44 Mrd € oder 60 Mrd $ irgend etwas besser wird.

Der liberale afrikanische Ökonom James Shikwati macht seit Jahren damit von sich reden, dass er die Einstellung jeder Entwicklungshilfe fordert. Hat er zunächst nur bemängelt, dass diese, dort, wo die Rohstoffeinnahmen nicht zur Errichtung eines korrupten Regimes reichen, zur Finanzierung eben dieser Diktatur führen. Und festgestellt, dass die subventionierten europäischen Agrargüter – und da handelt es sich blöderweise nicht nur um die Statlerschen Hühnerschenkel, sondern um flächendeckendes Preisdumping mit europäischen Steuermitteln – einen eigenen Markt nicht zu lassen. Verboten gehören nicht der Export europäischer Agrargüter, sondern die Subvention des Exportes und die Subvention der Produktion. Schon im eigenen Interesse. Subventionen und garantierte Abnahmen zum Festpreis machen nämlich für die Hersteller die Überproduktion sinnvoll, weil sie im Vorhinein wissen, dass sie jedes Stück loswerden. In einem Marktsystem würde der „Schweinezyklus“ greifen. Wie beim Türken um die Ecke, der das zu viel eingekaufte Gemüse am Tagesende billiger verkauft, um wenigstens seinen Einstandspreis zu erhalten. Die Überproduktion, die dank Exportsubvention auch noch in Afrika die Preise verdirbt, würde mit anderen Worten ausbleiben.

Mittlerweile, stellt er in der FR fest, leisten sich der Westen und China einen bizarren Wettbewerb, um mit Entwicklungsgeldern Wohlverhalten zu kaufen. So alimentieren die Chinesen den Sudan großzügig, um sich dessen Ölreserven langfristig zu sichern und halten großzügig im Weltsicherheitsrat die Hand über das Regime, das derweil in Ruhe seinen Völkermord in Darfur vollenden kann.

Das süße Gift der Entwicklungshilfe erlaubt es den Ländern, auf ein funktionierendes Steuersystem, das ihnen Einnahmen aus eigenem Recht überhaupt erst ermöglicht, zu verzichten. Es gibt keinen Grund, die Entwicklung einer leistungsstarken Wirtschaft zu unterstützen, die mit Einkommen und Gewinn in der Lage wäre, diese Steuern dauerhaft zu garantieren, bemerkt Shikwati. Braucht man neue Mittel, sucht man einen Donor in der entwickelten Welt.

In einem marktwirtschaftlichen Umfeld würden viele Aufgaben, die heute durch Entwicklungshilfe finanziert werden, von afrikanischen Unternehmen erledigt und vom Markt finanziert. Das allerdings würde die Macht der Potentaten einschränken und die Abhängigkeit des Volkes von den von ihnen verteilten Zuwendungen senken.

Wer Zweifel an der Richtigkeit der Hypothesen des Kenianers hat, dem sei der Bericht eines Korrespondenten im Economist aus dieser Woche empfohlen, der dort vor vierzig Jahren Dienst zu Zeiten der Unabhängigkeitserklärung tat und nun das Land wieder besuchte.

Die Infrastruktur ist im Vergleich zur Kolonialzeit verfallen. Die Zeit für die Fahrt von Nairobi nach Mombasa hat sich aufgrund der zahlreichen Schlaglöcher und dem schlechten Fahrbahnzustand der Strasse von vier auf acht Stunden verdoppelt. Die Stammesfehden sind nicht überwunden. Aber Korruptionsfälle gibt es zuhauf. Gegen die nicht einmal die neue Regierung, der er ansonsten gute Noten ausstellt, etwas ausrichtet. Andererseits scheinen viele Erfolge nicht wegen der Regierung eingetreten, sondern trotz ihr.

Eingangs erwähnt er, dass zwei Farben in jedem Dorf Konjunktur haben: Die der regionalen Mobilfunkbetreiber, die im Einerlei die Prepaid-Shops markieren. Der Bauer kann sich jetzt nach den Preisen für seinen Sack Zwiebeln erkundigen, bevor er einen ganzen Tag dazu verwendet, auf den Markt zu fahren. Nachdem der Staat es vierzig Jahre nicht geschafft hat, eine Infrastruktur für Telefonie zu schaffen, haben die privaten mir nichts dir nichts das in vierzig Jahren versäumte aufgeholt. Weiß auch Shikwati in der Frankfurter Rundschau, die ein bemerkenswertes Special zum Thema Afrika zum G8-Gipfel veröffentlicht hat.

Schon in den achtziger Jahren hat der liberale Nationalökonom Carl Christan von Weizsäcker auf nur eineinhalb Seiten skizziert, wie drei Innovationen die Konsumentensouveränität erhöht haben: Der Kühlschrank macht Waren länger haltbar, weshalb man mehr als den Bedarf eines Tages einkaufen kann. Das Telefon erhöht die Leichtigkeit und den Radius der Information und das Automobil verbessert Reichweite und Transportkapazität. Eine Verbesserung der Lebensqualität von der der ganze Kontinent noch weit entfernt ist, dessen Bevölkerung nach wie vor in einem atemberaubenden Tempo wächst, was zwangsweise zur Verslumung ganzer Regionen führt, in denen es eben nun wenigstens Mobiltelefonie, aber keine Elektrizität gibt. Shikwati weist in der FR darauf hin, dass in Kenia die Liberalisierung des Mobilfunkmarktes einen Zuwachs von 75 % bewirkt hat. Ein weiteres Indiz dafür, dass nicht die Globalisierung das Problem ist, sondern die faktische Ausgrenzung eines ganzen Kontinents aus der weltweiten Arbeitsteilung.

Die muss nicht so platt organisiert sein, wie Statler in seiner amnüsanten Hühner-Hugo-Polemik formuliert, die eine brilliante Definition von Globalisierung (Senkung der Transaktionskosten) und eine falsche Bewertung des europäischen Preisdumpings auf dem afrikanischen Kontinent liefert (ein sehendes Huhn verfehlt auch mal ein Korn).

Michael Holmes macht auf achgut.de auf ein anderes Phänomen aufmerksam, das im übrigen den lauten Hypothesen von Attac und anderen „Globalisierungsgegnern“ fundamental widerspricht: Entwicklungshilfe ist kollektiv organisiert und demokratisch kontrolliert. Sie funktioniert nach den Regeln des Plans und der Zentralverwaltungswirtschaft und nicht nach dem Prinzip der Menschenrechte und der Freiheit des Individuums. Kollektiv organisiert ist auch die Verantwortung und die Einhaltung der vorher gesetzten Ziele. Alle sind für alles verantwortlich aber niemand ist individuell schuld, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Dass der zitierte Text daneben mit einem weit verbreiteten Irrtum aufräumt, ist ein zusätzliches Verdienst: Er weist darauf hin, dass die „Armutsfalle“, die kollektive Entwicklungshilfe von Weltbank oder IWF zur staatlichen Organisation möglich mache, gar nicht besteht: Wenn die Grundannahme stimmt, nur hohes Einkommen und die Chance der Kapitalbildung könnten über Produktivitätszuwächse zu Wachstum führen, müssten die entwickelten Länder ein höheres Wachstum ausweisen, als die armen Nationen. Tatsächlich weisen die Entwicklungsländer zumeist ein höheres Wachstum aus als die wohlhabenden Industrienationen.

Die bisherige Entwicklungshilfe ist daran gescheitert, die Länder Afrikas fit für den weltweiten Wettbewerb zu machen. Gerade heute berichtet die FAZ, dass etwa in Uganda die Keks-Produktion aus Strommangel danieder liegt. Entwicklungshilfe ist ein moderner Ablasshandel, mit dem wir unsere Marktabschottung und den neuen Ökoprotektionismus rechtfertigen, der nur die Entwicklungschancen der Schwellenländer wg. Klimaschutz beschneiden will.

Würden wir ernst machen mit dem Kampf für eine gerechte Welt, müssten wir unsere Märkte für Produkte aus Afrika öffnen und unsere Exportsubventionen sofort und unsere Agrarsubventionen wenigstens sukzessive abschaffen, um den Landwirten in Europa die Chance zu geben, sich um zu orientieren, während in Afrika die Kinder weiter verhungern.

Die kollektive Entwicklungshilfe gehört eingestellt. An ihre Stelle könnte ein neuer „Marshal-Plan“ für Afrika stehen, der nicht Staaten, sondern einzelne Unternehmen und Personen direkt fördert. Wie beim Marshal-Plan nicht in Form von verlorenen Zuschüssen, sondern von Bürgschaften und Krediten. Die, wie die Mikro-Kredit-Idee des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus so gar zu Zinsen von 20 % ausgereicht werden können, die hier zu lande als Wucher gelten würden. Ein Fahrrad, mit dem man seine Ernte auf den Markt bringen kann, eine Kühltruhe, die in einem Laden zur Sortimentserweiterung führt und die Haltbarkeit der Güter verlängert, ein Mobiltelefon, mit dem man die gerade gültigen Preise für die geernteten Kartoffeln erfahren kann, eine Nähmaschine, mit der Kleider hergestellt und verkauft werden können, Dünger, mit dem der Ertrag des Feldes gesteigert werden kann, können mit Mikro-Krediten finanziert werden. Der höhere Zins resultiert aus der Bearbeitungsgebühr, die aus einem marktüblichen Zins nicht zu finanzieren wäre und macht so für die Bank aus der Angelegenheit auch ein profitables Geschäft.

Das eingesetzte Kapital wächst und kann immer wieder neu verwendet werden. Es entstehen Gewinne und Einkommen, aus denen Steuerpflicht erwächst. Mit den Steuern kann der Staat unmittelbar in die Infrastruktur investieren und so die Produktivität durch ein funktionierendes Stromnetz, intakte Strassen und leistungsfähige Nahverkehrsmittel steigern. Daneben kann er aus diesen Steuereinnahmen eine ordentliche Justiz finanzieren und die öffentliche Sicherheit mit einer funktionierenden Polizei sichern. So wird ein Schuh draus.

Sunday, June 03, 2007

Die These von der globalen Interdependenz der Ordnung

Walter Euckens grösster Verdienst ist die These von der Interdependenz der Ordnungen, die er in den dreissiger Jahren in den „Grundlagen der Nationalökonomie“ just in der Stadt formulierte, in der sich der bekennende Katholik und später von seinem Nach-Nach-Nachfolger zum Widerstandskämpfer geadelte Hans Filbinger dem nationalsozialistischem Zeitgeist nicht entziehen könnte, obwohl er später behauptete, im Umfeld des ordoliberalen Kreises um Eucken und Franz Böhm angesiedelt zu sein, bei dem er immerhin studiert haben soll.

Eucken macht schon damals Schluss mit dem Märchen von Kommunismus und Sozialismus und weist auf das hin, was noch gut 60 Jahre grausame Realität in Europa bleiben soll. Es gibt nur zwei Sorten von Wirtschaftssystemen: Eine Marktwirtschaft, in der das eingesetzte Wissen aller Teilnehmer maximal ist und die im Wettbewerb ihre Koordinierungsentscheidungen trifft. Und eine Zentralverwaltungswirtschaft, in der dieses Wissen auf das der zentralen Plankommission beschränkt ist, die für die Gemeinschaft alle Entscheidungen trifft.

Diese Entscheidungsgewalt setzt die Macht voraus, Wirtschaftssubjekte und Menschen zum plankonformen Verhalten zu zwingen. Damit dürfen sie über sich und ihr Eigentum nicht verfügen können und dürfen sich der Weisungsgewalt der zentralen Plankommission nicht entziehen – etwa durch Flucht. Ihre Freiheit, über ihr Eigentum frei zu verfügen, muss zwangsweise ebenso eingeschränkt werden wie ihre Berufsfreiheit. Sie müssen dort funktionieren, wo die zentrale Planbehörde sie hinstellt.

In der Marktwirtschaft muss die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gesichert sein. Seine Freiheit muss geschützt sein. Schutz braucht die Freiheit des Schwachen vor der Freiheit des Starken. Dafür braucht es eine staatliche Ordnung, die diese Freiheit des Schwachen schützt und seine Würde sichert.

In einer verflochtenen Weltwirtschaft muss es der Anspruch sein, diese Interdependenz der Ordnungen überall durch zu setzen und Freiheit und Menschenrechte zu garantieren, abseits vom Rechtsinstitut des so genannten Völkerrecht, dass die Potentaten des 19. Jahrhundert einst entwickelt haben, um sich vor einander zu schützen, nicht ihre Völker, die sie gern und immer wieder in den Krieg geschickt haben.

Die Weltwirtschaftsordnung wird nicht auf den G8 – Gipfeln weiter entwickelt, sondern bei der Welthandelsorganisation, wo entwickelte und sich entwickelnde Länder übrigens völlig gleichberechtigt an einem Tisch sitzen und interstaatenrechtlich völlig verbindliche Vereinbarungen treffen.

Dort zu demonstrieren, würde lohnen. Denn der Prozess steckt in einer handfesten Krise. Die Entwicklungsländer fordern völlig zu recht, dass die Industriestaaten ihre Agrarmärkte öffnen, ihre Landwirtschaftssubventionen einstellen und aufhören, ihre subventionierten Überschüsse als milde Gaben nach Afrika zu schicken, wo sie für die einheimischen Bauern die Preise kaputt machen und die dringend erforderlichen Produktivitätsfortschritte verhindern.

Die globale Interdependenz der Ordnung meint Chancengleichheit für alle Menschen. Menschenrechte und Freiheit und nicht die Garantie von Souveränität von Diktaturen und deren Finanzierung durch Entwicklungshilfe. Wo marktwirtschaftliche Entwicklung, Verflechtung in die Weltwirtschaft und e i g e n e Wertschöpfung entsteht, brauchen die Leute Wissen und Bildung. Sie werden mündige Bürger und wollen in einer Demokratie und vor allem in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben, in dem sie selbst entscheiden. Und nicht irgendwelche Gutmenschen in Rostock.