Monday, October 16, 2006

Beim Schneiden der Zwiebel

Am vergangenen Freitag Abend hatte ich die seltene Ehre bei der Verspeisung eines von Alfon Schuhbeck höchstpersönlich kreierten Salates mit zuviel Essig im ICE im Beisein von Ursula – Uschi – Quengelen – Geifer (Engelen – Kefer) zu verbringen, sozialpolitisches Urgestein der Republik, Mitglied im SPD-Parteivorstand, jahrzehntelange stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, - abwechselnd stellvertretende und Vorsitzende des Verwaltungsrate der früher Bundesanstalt und heute Bundesagentur für Arbeit, der sie zwischenzeitlich auch als Vizepräsidentin gedient hatte.

Ich kämpfte mit den auffällig über den Thunfisch drapierten Zwiebelringen, die sich zwar nicht mehr häuten (Günther WaffenGG Grass) ließen aber doch geschnitten werden mussten, während ein freundlicher Fotograf mir gegenüber auf seinem Apple-Notebook offensichtlich eine Werkschau vornahm und die zwangsweise in den Ruhestand geschickte „Uschi“ emsig ein Weißbuch zur Ausbildung ihres ehemaligen Arbeitgebers DGB las.

Der Kampf mit der Zwiebel ist ja – wie wir von veritablen Nobelpreisträgern wissen – nichts Ehrenrühriges und forderte meine ganze Aufmerksamkeit. So ließ ich Milde walten und sah genüsslich zu, wie „Uschi“ bei der Nennung des Rechnungsbetrages des freundlichen Werktätigen der Deutschen Bahn AG, dessen Dienstbarkeit sie richtigerweise lobte, erschreckte: 18 Euro – „Für mich ?“. Sie nutzte die Gelegenheit, mit gehörig Kleingeld die Beschwernis der als Waffe vorweg gestreckten Handtasche zu erleichtern und dem Mitropa-Angestellten einen ordentlichen Obulus zuzugestehen, bevor sie auf dem stilvoll ausgewählten Absatz kehrt machte und in die erste Klasse entschwebte.

Ich bedauerte meinen Beschluss, als das unverkennbare Organ der Zwangspensionistin sich zu fast nachtschlafender Stunde am gestrigen Morgen im Deutschlandfunk erhob, um für die neue Armut in Deutschland und das von der Friedrich Ebert – SPD – Stiftung festgestellte Phänomen einer neuen rund Fünf Millionen Menschen umfassenden „Unterschicht“ die „Hartz IV“ genannte Zusammenlegung von zwei (out of 150) Sozialtransfers der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich zu machen und nun so ungefähr jede gleichmacherische „olle Kamelle“ ihrer beruflichen Tätigkeit im Interview anzupreisen – von der Ausbildungsabgabe bis zur Abschaffung von „Hartz IV“. Es hätte ja das letzte sein können.

Das von der Ebert – SPD – Stiftung konstatierte Phänomen ist so überraschend nicht. Schliesslich hatte vor Jahresfrist bereits Harald Schmidt die Flucht aus dem heute in der Präsidiums-PK von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil erkannten „Unterschichten – Fernsehen“ bekannt gegeben und der Parteivorsitzende Kurt Beck in einem Zeitungsinterview das Erscheinen dieser Studie offensichtlich geschickt mit der Erwähnung offensichtlich sinkenden Durchlässigkeit der Gesellschaft publizistisch vorbereitet. Aber muß ich deshalb am frühen Montag Morgen Uschis quengelnden Geifer ertragen ? Ich war der betonköpfigen Altherrenriege um Michael – nicht Ron – Sommer dankbar gewesen, dass sie ihre wirksamste Penetranzwaffe zwangsweise aus dem DGB-Präsidium und der Bundesanstalt für Arbeit verdrängt hatte.

Hätte ich gewusst, dass die Frau um Unruhezustand, der zu meinem Erstaunen noch ein Sitz im SPD-Parteivorstand verblieben war, ihren Privat-Anschluss penetrant missbraucht, um ihre Auffassung als Privatier unters Volk zu bringen, (http://www.dradio.de/dlf/sendungen/interview_dlf/553511/), ich hätte die seltene Gelegenheit im Bord-Restaurant des ICE der Deutschen Bahn AG zwischen Göttingen und Braunschweig genutzt, den bitteren Beigeschmack des Salates mit einer ordentlichen Polemik gegen das Urgestein des deutschen Sozialstaates zu pfeffern.

Die Chance, die vermutlich beratungsresistente Berufsfunktionärin des deutschen Sozialstaates ausser Diensten mit meiner Auffassung zu behelligen, habe ich vertan. Deshalb: To whom it may concern – Oder für „Uschi“.

Die Ebert – SPD – Stiftung legt den Finger in die richtige Wunde: Bisher hat sich der Wohlfahrtsstaat scheinbar leisten können, eine zunehmende Zahl von Menschen mit Sozialtransfers durchzufüttern, die bei steigender Produktivität nicht mehr in der Lage sind, am Erwerbsleben teilzunehmen. Mittlerweile ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf rund 25 Mio Menschen gesunken, die ausschließlich mit dem Einkommen, das sie verdienen, für den Rest des Landes aufkommen müssen. Und in den vergangenen 10 – 15 Jahren ist ihre Zahl konsequent gesunken. Die Arbeit, nicht der Lohn, den sie erhielten, wurde immer teuer.

Mittlerweile sind wenigstens die sogenannten 400-Euro-Jobs, die Uschi so verteufelt, von der Sozialversicherung frei gestellt. Bis 800 Euro steigt die Sozialversicherungspflicht sukzessive an, ab 800 € schlägt die Keule der Strafsteuer auf Arbeit mit voller Wucht zu. Mehr als 40 % des erwirtschafteten Einkommens geht an die Sozialkasse. Das grenzt an Enteignung.

In Deutschland sind nicht die Löhne und Einkommen zu hoch, sondern die Steuern und Abgaben, die auf sie entfallen. Und sie erweisen sich als automatischer Stabilisator der Arbeitslosigkeit. Je mehr Leute ihr Einkommen nicht durch Arbeit erzielen, desto höher ist der Finanzbedarf der Arbeitslosen-, Kranken- und Rentenversicherung. Das führt zu steigenden Beiträgen, die wiederum Arbeit verteuert und eine bestimmte Anzahl von Arbeitsplätzen unwirtschaftlich machen, deren Entfall zu einer weiteren Reduzierung von Arbeitsplätzen führt, Die Spirale führt unweigerlich weiter – nach unten. Und mittlerweile können wir uns das Heer der Erwerbslosen einfach nicht mehr leisten.

Quengelen-Keifer meint, Hartz IV sei schuld an der neuen Unterschicht. Das ist so wahr wie falsch. Die Regierung Schröder entschloss sich vor einiger Zeit zwei der rund 150 verschiedenen Sozialtransfers, für die wir rund 600 Mrd € aufwenden, zusammen zu legen: Die Arbeitslosen- und die Sozialhilfe. Das knifflige: Beide wurden aus Steuergeldern finanziert, aber während die Sozialhilfeempfänger ihre Bedürftigkeit unter Beweis stellen mussten, orientierte sich die Arbeitslosenhilfe an dem früheren Arbeitseinkommen des Hilfebedürftigen. Warum ?

Dass der arbeitslose Akademiker nicht mehr Geld bekommt wie die alleinerziehende Mutter mit zwei Kinder, sollte als gerecht zwischen allen Beteiligten empfunden werden.Wird es aber gerade nicht von dem ehemaligen Facharbeiter oder Bauingenieur, der sich mit seiner Erwerbslosigkeit abgefunden hat. Die zunehmend von der Arbeitslosigkeit betroffene Mittelschicht fühlt sich in ihrem Besitzstand bedroht. Und das ist ein neues Phenomen.

Bislang hat die Öffentlichkeit und die Politik in Deutschland sukzessive Arbeitslosigkeit billligend in Kauf genommen, weil die immer grössere Anzahl der aus dem Prozess ausscheidenen Bürger finanziert wurde und die Arbeitslosenhilfe defacto den einmal erreichten Lebensstandard garantierte, auch wenn sie selbst dazu nichts mehr beitragen konnten.

Der Grund ist ein nationalökonomisches Schlagwort: „Produktivitätsorientierte Einkommensentwicklung.“ Das Kartell der Arbeitsplatzbesitzer, die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften verteilten seit mindestens 40 Jahren in ihren Verhandlungen mit viel Bohai nach nächtlichen Krisensitzungen den sogenannten Produktivitätsfortschritt untereinander. Durch Investitionen in neue Maschinen, Anlagen und Verfahren konnten einzelne Mitarbeiter während der Arbeitszeit eine höhere Leistung erbringen. Der zusätzliche Gewinn aus dieser Leistung wurde zwischen Unternehmen und Mitarbeitern aufgeteilt. Für die bestehenden Unternehmen war dies vorteilhaft, denn sie hatten schon investiert und die Lohnsteigerung war für sie solange hinzunehmen, so lange sie niedriger war als die durch einen Streik entstehenden Ausfallkosten.

Das von den Ökonomen und Sachverständigen propagierte Modell hat folgende Schönheitsfehler:

1. Die Unternehmen werden gezwungen, Kosten zu reduzieren, in dem sie Arbeit durch Kapital substituieren. Statt drei Hausmeister zu beschäftigen, die den Hof kehren, wird nur noch eine halbe Stelle eingerichtet, auf der ein einziger Mitarbeiter dieselbe Arbeit mit einer Kehrmaschine erledigt, deren Kaufpreis die Kosten einer halben Stelle ausmacht.

2. Die Orientierung an den durchschnittlichen Zuwächsen der Produktivität benachteiligt die Mitarbeiter, die diesen Durchschnitt nicht erreichen können. Ihre Arbeit wird zunehmend unwirtschaftlich und sie werden entlassen.

3. Die Zusammenfassung in Branchen und Regionen durch den Flächentarifvertrag führt dazu, dass Unternehmen, die etwa aufgrund der hohen manuellen Anteile die Produktivitätszuwächse nicht erreichen können und deshalb aufgrund des Flächentarifvertrags mit erheblichen Kostensteigerungen kämpfen müssen.

4. Menschen, die nicht über die Ausbildung verfügen, die doppelte Belastung von Produktivitätszuwachs und den überproportional steigenden Arbeitskosten (aufgrund der Arbeitsproduktivität) zu erwirtschaften, mussten aus dem Arbeitsprozess ausscheiden.

Die meisten deutschen Unternehmen sind auf Märkten tätig, die von den Basisinnovationen des 19. Jahrhunderts bestimmt sind. Dem Automobil oder dem Maschinen- und Anlagenbau. Fabriken, die etwa MP3 – Player herstellen oder auch die gewinnbringende Handy-Produktion gibt es bei uns nicht. Das kann wohl kaum nur an den Arbeitskosten liegen. Schliesslich machen nach Angaben des erfolgreichen amerikanischen Mobiltelefon – Fabrikanten Motorola, der 1998 (?) in Schleswig-Holstein ein Werk eröffnete, die Arbeitskosten nur etwa 5 – 10 % der Herstellkosten eines Mobiltelefons aus.

Der Fall BenQ-Siemens zeigt vielmehr, dass es Missmanagement ist, dass dazu führt, dass neue Unternehmen, neue Produkte und neue Märkte in Deutschland nicht Platz greifen. Schuld ist nicht Herr von Pierer oder Klaus – Gehaltserhöhung – Kleinfeld. Sondern schuld ist eine risikoaversive Unternehmensstruktur, die die Leidkultur der Leitenden Angestellten hervorgebracht hat: Wer nichts entscheidet, macht nichts falsch. Und wer nichts falsch macht, wird befördert.

Als erfolgreiche spätindustrielle Gesellschaft haben wir uns auf ein konsensorientiertes Kartell der Besitzstandswahrer konzentriert, das neue Unternehmen, schnelle Entscheidungsrisiken und Menschen, die neue Chancen suchten aussen vor liess.

Noch geht es unseren Armen vergleichsweise gut. Wer den Besuch der Inspektoren von ARGE und Sozialamt schon bei RTL2 oder in ähnlichen Reportage-Formaten besichtigt hat, der weiß, daß im Kinderzimmer der neuen Armen ein Buch, ein Kleiderschrank oder im Wohnzimmer ein ansehnliches Wohnzimmer Mangelware sein mag. Fernseher, DVD-Recorder und PC sind aber in der Regel in vielen Räumen mehrfach vorhanden und dienen der Kurzweil. In der neuen Unterschicht wächst die Zahl derjenigen, die nicht mehr ordentlich deutsch in der Schule gelernt haben und keine Chance auf einen Ausbildungsplatz hatten, weil beim Einstellungstest die Grundrechenarten nicht abgerufen werden konnten. China und Indien bilden mehr Ingenieure aus wie die Hochschulen der europäischen Union. Aber neben den Parallelgesellschaften, des versagenden Bildungssystems und dem Eingeständnis, dass das duale System, eine Bildungsform des Mittelalters im Inforamtionszeitalter nicht die Last der Ausbildung alleine tragen kann, braucht es ein neues Grundverständnis in der Gesellschaft: Dass wer wagt, gewinnt und dass diejenigen angesehen werden, die die Chance nicht nutzen konnten und am Risiko gescheitert sind.

Wir brauchen eine neue Grundversorgung, etwa das altbekannte Bürgergeld mit einer negativen Progression (je mehr ich verdiene, desto mehr vom Sozialtransfer muss ich zurückgeben), eine steuerfinanzierte Finanzierung der Sozialtransfers, die alle Einkommen beteiligt, eine so erzeugte Halbierung der Sozialversicherungsbeiträge, ein modernes Steuerrecht und die Chance nach einem unternehmerischen Fehlschlag binnen kurzer Zeit wieder ins Wirtschaftsleben zurück zu kehren. Das alles gibt es längst: Nur nicht bei uns.

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