Thursday, May 24, 2007

....erkämpft das Menschenrecht

Heiner Geissler hat den Schritt von der katholischen Soziallehre zum Neomarxismus endlich geschafft. Er ist Attac beigetreten, dem „gewaltfreien“ Ast der „Globalisierungsgegner“. Er begründet seinen Beitritt mit dem Recht auf Demonstration, das er durch scheinbar übertriebenen Sicherheitsmassnahmen durch die Einrichtung einer temporären Innerdeutschen Grenze zwischen dem Nobelort Heiligendamm und dem Rest der Republik und die prophylaktische Einrichtung eines Guatanamo Light für Demonstranten gefährdet sieht. Dabei übersieht der gute Mann, dass – anders als in Russland etwa beim Russland-EU-Gipfel – die Anhänger von Attac für ihre Ansicht sehr wohl auf die Strasse gehen dürfen, nur eben nicht unmittelbar auf dem Grenzweg zur Absperrung des 12 Millionen € teuren Zaunes. Schließlich haben sich die Demonstranten zum Ziel gesetzt, eben jene Demarkationslinie zu überwinden – ohne gewaltsame Auseinandersetzung wohl kaum zu erreichen. Da kann eine 200 m breite Pufferzone die Meinungsfreiheit wohl kaum gefährden.

Nicht nur Geissler und der G8 – Gipfel machen es nötig, sich einmal genauer mit den Argumenten von Attac auseinander zu setzen. Sondern auch, weil die deutschen Medien allenfalls die zukünftigen Demonstranten dabei filmen, wie sie üben, „gewaltfrei“ den Straftatbestand der Nötigung zu erfüllen. Wie weiland Gert Bastian und Petra Kelly in Mutlangen haken sie sich bei ihrer Sitzblockade unter, um möglichst lange zu verhindern, von der Polizei weggetragen zu werden. Was täten die G8-Gegner eigentlich, wenn es keinen Gipfel gäbe. Würden sie ohne Zaun überhaupt das Nobelhotel in Heiligendamm stürmen wollen?

Für den Marxismus war das Jahr 1989 die Katastrophe. Nicht der Kapitalismus brach wie vorhergesagt zusammen. Zwar machten Arbeiter und Bevölkerung Revolution. Aber gegen die sozialistisch getaufte Zwangswirtschaft der Diktatur von Stalins Jüngern. Damit war eine ganze Ideologie offenbar gescheitert und diskreditiert. In ihrem Namen waren doch die größeren Verbrechen begangen worden, nicht im Interesse des Großkapitals. Halb Europa hatte man nur unter Androhung des Schusswaffengebrauchs ein halbes Jahrhundert zu Armut und Verzicht gezwungen, während die andere Hälfte mit Hilfe eines atomaren Overkills davon abgehalten wurde, den Aufständischen von Berlin, Prag und Budapest oder den Streikenden von Danzig zur Hilfe zu eilen. Es galt einen neuen Grund zu finden, warum der Kapitalismus eine verwerfliche, (un)- menschliche Ideologie war, die der Kontrolle und Enteignung bedarf. Es brauchte ein neues Feindbild und einen neuen Grund für die Anwendung der marxistischen Theorie.

Kapitalismus ist nicht die Bezeichnung eines Wirtschaftssystem, sondern ein marxistischer Kampfbegriff, der in der Theorie eine historische Phase bezeichnet, in der die Produktionsfaktoren Boden und Arbeit durch überproportionale „Profite“ des Faktors Kapital ausgebeutet und in der Substanz gefährdet werden. Die Steigerung von Kapital ist für die weithin marxistisch geprägte Öffentlichkeit Finanzkapital. In der Vergangenheit gerne genommen wurden dann auch noch die Zusätze jüdisch und/oder international. Darum handelt es sich, wenn so genannte Spekulanten einfach mit Geld Geld verdienen und des nicht für Investitionen in der „realen Welt“ einsetzen.


1. Internationales Finanzkapital und Tobin-Steuer

Der neue Marx hieß Tobin. Statt Revolution und plumpe Enteignung, wollte der die Substanz von Devisengeschäften mit scheinbar läppischen 0,2 % besteuern und diese über die Weltbank an Entwicklungsländer „umverteilen“. Je häufiger ein „Finanzspekulant“ also sein Kapital umschlägt, desto häufiger fällt die Steuer an, die sein Kapital vermindert. Wer seinen Kapitaleinsatz also täglich umschlägt zahlt in der Woche 1 % Steuern auf diese Substanz und in 52 Wochen eben 52 %. Attac rechnet damit, dass rund 1,1 Billionen € alltäglich umgeschlagen werden von denen nur rund 40 – 60 Mrd € von der so genannten realen Wirtschaft benötigt würden, um den Verkehr mit realen Waren abzuwickeln. Mit der Tobinsteuer wurden also nur 2,2 Mrd € pro Tag gewonnen, rund 11 Mrd € pro Woche und eine schlappe halbe Milliarde im Jahr, die dann die Weltbank für die Ärmsten der Welt erhielte, wenn die Spekulanten ihr Verhalten nicht ändern würden. Das aber genau wollte Tobin erreichen. Sein Ziel war, kurzfristige Spekulation unattraktiv zu machen und so Währungsschwankungen zu reduzieren.

Sein Vorschlag ist aus der Zeit zu verstehen, in der er gemacht wurde. 1972 stand das System von Bretton Woods, in dem feste Währungskurse und die Goldbindung des Dollars galten, vor dem Zusammenbruch. Um den Vietnamkrieg zu finanzieren, hatten die USA die Gelddruckmaschine angeworfen und die Geldmenge erhöht. Der Dollarkurs von 4,20 DM war nicht mehr zu halten. Genauso wenig wie die Garantie der US-Zentralbank, jederzeit jeden Dollar in Gold aufzuwiegen. Wer sich aber die Entwicklung der Weltwirtschaft zwischen 1944 und 1973 anschaut, könnte auf die Idee kommen, dass die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten der Mitgliedsländer, Inflation und Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt der Zusammenschluss der Öl-Fördernden Länder ein System ad absurdum führten, in dem Zentralbanken immer wieder durch Kauf oder Verkauf von Währungen das System stabil halten sollten, während die Menschen und Unternehmen frei waren, Devisen zu kaufen oder zu verkaufen.

1972, als Tobin seinen Vorschlag machte, war der Finanzmarkt unterentwickelt. Es gab keine Instrumente zur Währungsabsicherung, Optionen und Termingeschäfte. Weil es bis dahin Bretton Woods gegeben hatte. In Europa versuchte man in der Nachfolge mit der europäischen Währungsschlange und später dem europäischen Währungssystem innerhalb der europäischen Gemeinschaft feste Wechselkurse zu vereinbaren und durch Kauf und Verkauf von Währung durch die Zentralbanken zu ermöglichen. Damals war Spekulation gegen das System ein sicher gewinnbringendes Konzept, weil die Interventionen der Zentralbanken erzwungen und sicher vorher zu sehen waren. Und das war der Grund, warum die drei Systeme Bretton Woods, Währungsschlange und EWS scheiterten, letzteres an der Spekulation des als „Globalisierungsgegner“ berühmt gewordenen George Soros. Erst die Währungsunion in Europa wurde zu einem Erfolg, weil sie durch die Einführung der Einheitswährung den Handel der unterschiedlichen Devisen unterband. Ob das Auseinanderfallen zwischen der Hoheit für Währung, Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik auf Dauer nicht auch eine Euro-Krise nach sich zieht, wird sich noch erweisen. Alle drei Vorgängersysteme waren das, was Attac wollte: der durch Demokratische Wahlen legitimierte Versuch, Spekulation und Währungsschwankungen zu verhindern. Nur leider scheiterte er immer wieder an der Realität.

Spekulation schadet niemand. Sie verteilt Risiken auf verschiedene Schultern. Der Finanzmarkt hat sukzessive das getan; woran Bretton Woods, Währungsschlange und EWS gescheitert sind. So können heute Automobilunternehmen z.B. Währungsrisiken auf mehrere Jahre absichern und damit mit konstanten Einnahmen rechnen. Diejenigen, die ihnen zusichern, etwa den Dollar auf zwei oder drei Jahre zu einem festen Wechselkurs umzutauschen, sichern sich ihrerseits bei anderen Spekulanten ab, die ihre Währungsvorräte kurzfristiger umsetzen. Dabei hat jeder einen Gewinn, das Geschäftsmodell der verteufelten "Hedge-Fonds" basiert darauf, Risiken für andere zu übernehmen. Das Automobilunternehmen verzichtet im Gegenzug zur Risikominimierung auf den maximal möglichen Gewinn und erhält im Gegenzug eine sichere niedrigere Einnahme. Die Differenz wird letztlich unter den Marktteilnehmern aufgeteilt. In der Spieltheorie nennt man das eine „Win-Win-Situation“.

Das konnte Tobin 1972 nicht wissen. Was ihm zu gute zu halten ist. Aber heute ist erkennbar, dass nicht die Spekulation zur Krise von Währungssystemen geführt hat, sondern die Tatsache, dass die Spekulanten sich die offensichtlichen Fehler der „demokratisch legitimierten“ Finanz- und Wirtschaftspolitik zu Nutze gemacht haben. Was letztlich dazu geführt hat, dass sie ein System, das latent gefährdet war, zum Einbruch gebracht haben, bevor es zu noch größeren Schäden gekommen wäre. Das gilt für die mit Dollar-Milliarden künstlich aufgeblähten Tigerstaaten Südostasiens genauso wie für das britische Pfund, das bereits überbewertet war, als es dem EWS 1990 beitrat.


2. Werden die Armen wirklich immer ärmer

Attac hat i.B. auf die weltweite Einkommensentwicklung die Hypothese aufgestellt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden. Schuld daran sei – richtig – die neoliberale Globalisierung, wo auf entfesselten Märkten das brutale kapitalistische Recht des Stärkeren gilt. Verschärft würde dieser Effekt durch die internationalen Finanzspekulationen.

Auf seiner deutschen Homepage belegt Attac dies aufgrund von Zahlen der UN über den Zeitraum von 1960 bis 1997. Die Entwicklung seit 1997 ist also nicht berücksichtigt. Richtig ist, dass der Unterschied zwischen den Einkommen der Ärmsten der Welt im ausgewählten Zeitraum gewachsen ist. Das liegt aber nicht an der zunehmenden weltweiten Wirtschaftsteilung, sondern an der gewachsenen Produktivität und der durch die Gewerkschaften erstrittenen Beteiligung an der gewachsenen Wertschöpfung in den Industriestaaten. In den Entwicklungsländern war dieser Produktivitätsfortschritt bescheiden, weshalb dort auch keine Einkommenssteigerungen realisiert werden konnten. Auch die Finanzmärkte profitieren nicht von den Ärmsten der Welt. Zwischen beiden gibt es schlicht keine Berührungspunkte. Zudem gilt immer noch das alte Sprichwort: Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.

Betrachtet man die tatsächliche Entwicklung anhand des jüngsten Zahlenmaterials der Weltbank, so stellt sich ein völlig anderes Bild. Die absolute Armut auf der Welt nimmt ab und nicht zu. Zwischen 1999 und 2004 haben 135 Millionen Menschen es geschafft, erstmals ein Einkommen von über einem Dollar zu erzielen. Seit 1990 ist diese Zahl von 29 auf 18 % der Bevölkerung der Entwicklungsländer gefallen und hat erstmals eine Milliarde unterschritten. Selbst in Afrika ging die Zahl derjenigen, die unter einem Dollar pro Monat verdienen, um fast fünf Prozent zurück.

Selbst in den 19 ärmsten Ländern der Welt ist die Armut absolut um 1,3 Prozent gesunken, während die Volkswirtschaften um nur einen Prozent gewachsen sind. Länder mit mittleren Einkommen erzielten ein Wachstum von 6,2 %, China und Ostasien sogar um die 10 %. Diese Zahlen sind seit Beginn der Neunziger Jahre, also seit Wirksamwerden dessen, was Attac Globalisierung nennt, besonders stabil und diese Länder sind mit zunehmender Intensität Teil der weltweiten Arbeitsteilung.

Besorgniserregend ist die Entwicklung in den Ländern, die über kein gefestigtes staatliches Gewaltmonopol verfügen und in denen dauerhafte interne und externe Konflikte zu Krieg und Gewalt geführt haben. Sie haben kein oder ein unterdurchschnittliches Wachstum, und die Zahl der absolut armen bleibt bei ihnen auch erschreckend hoch. Auch wenn Vietnam oder Uganda zeigen, dass solche Schwierigkeiten auseinander driften würden.

Ein klarer Beleg für Euckens These von der "Interdependenz der Ordnung", die besagt, dass eine Marktwirtschaft einen freiheitlichen Rechtsstaat bedingt und umgekehrt.

Auch in den entwickelten Ländern, behauptet Attac Deutschland würden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Insbesondere die Bevorzugung der Unternehmen sei nicht hinzunehmen, die immer weniger Steuern zu zahlen hätten und sich nicht an der Infrastruktur beteiligt. Schuld daran seien die gesenkten Steuersätze, die zu immer geringeren Steuereinnahmen führen würden.

Dabei übersehen unsere gutgläubigen Spitzenökonomen, dass die Unternehmenssteuer in der Regel nur eine Vorsteuer ist. Sie wird mit der individuellen Einkommenssteuer desjenigen verrechnet, an den der Gewinn ausgeschüttet wird. Ist der persönliche Steuersatz höher, muss nachversteuert werden. Und der wurde in Deutschland von der großen Koalition gerade auf 45 % (Stichwort Reichensteuer) erhöht.

Und gerade die internationale Finanz-Community trägt zum Gemeinwesen bei. Die 350.000 Mitarbeiter des Finanzsektors zahlen 20 % des gesamten Steueraufkommens. Nicht des deutschen, sondern des Aufkommens Großbritanniens. Sagt der Economist in seiner Ausgabe vom 03. Februar 2007, also in einem Land, wo trotz 10 Jahren Labour niedrigere und einfachere Steuersätze gelten und die Unternehmenssteuerreform des zukünftigen Premierministers neben der Reduzierung der Unternehmenssteuern auf 30 % mit einem Investitionsfreibetrag von 50.000 Pfund einhergeht (ca. 75.000 €), während in Deutschland die degressive Abschreibung abgeschafft werden soll.

In einer verflochtenen Weltwirtschaft konkurrieren Staaten. Entscheidend sind Infrastruktur, Sicherheit und Kosten. Steuern sind Preise und nicht länger Zwangsabgaben, die mit dem Prügel vom Potentaten eingetrieben werden können. Und Bürokratie ist ein Investitionshemmnis.

Im Wissenszeitalter haben die traditionellen Industriegesellschaften alle Chancen dieser Welt. Und die sich entwickelnden Gesellschaften auch. Arbeitsteilung funktioniert nur dann, wenn alle davon profitieren, die an dieser Arbeitsteilung Anteil haben. Und sich ihm stellen. Und nicht durch Zölle und Zinsschranken andere ausschließen. Die dann versuchen herzukommen, statt ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten.



3. Glokale Demokratie

Eine der Hauptforderungen von Attac ist die demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und insbesondere Währungsgeschäfte. Das Kunstwort Glokal meint eine neue Subsidarität. Die Weltbevölkerung soll gemeinsam über die Dinge abstimmen, die sie in ihrer Ganzheit betrifft. Die Völker einzelner Staaten nur über die Dinge, die sie selbst angehen.

Einer der Haupteinwände gegen den so genannten G8 – Gipfel ist die mangelnde demokratische Legitimation dieser Institution. Allerdings handelt es sich gar nicht um eine solche. Sondern um ein informelles Treffen, das von Versammlungs- und Vertragsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt ist und völkerrechtlich für niemanden bindend ist. Natürlich ist das Abschlusskommunique von Gewicht. Und es ist demokratisch legitimiert, zumindestens weitgehend. Schliesslich kann man an der Legitimation des russischen Präsidenten zweifeln, weil dieser zwar einer Wahl entsprang, aber wesentliche Rechte in einer Demokratie wie eben Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäusserung werden unter faktischer Androhung des Todes unterlaufen.

Die demokratische Kontrolle des internationalen Finanzkapitals meint den Entzug des Verfügungsrechtes durch den Eigentümer. Das Verfügungsrecht ist aber das wesentliche Merkmal des Eigentums. Was nützt mir eine Million auf dem Konto, wenn ich sie nicht bewegen, nicht anlegen, nicht investieren und auch nicht ausgeben darf. Attac meint nicht Demokratie. Sondern Enteignung des privat gehaltenen Finanzkapitals. Marxismus pur.

Wie die glokale Demokratie funktionieren soll, sagt Attac nicht. Welche Institutionen sollen gegründet werden. Sollen Staaten international auftreten, wie in der UN. Haben wir ein Interventionsrecht, wenn deren Staatenführer nicht entsprechend den Gepflogenheiten der Demokratie ermittelt wurden, sondern sich an die Macht geputscht haben. Wie soll geregelt werden, was demokratisch auf der Globalen und was auf der lokalen Ebene entschieden wird.

Die entscheidende Qualität der Demokratie ist, dass sie Köpfe zählt und nicht ab- oder einschlägt. Über die Qualität des Ergebnisses sagt das wenig aus. Und wenn wir keine Weltwirtschaftsordnung wollen, sondern eine Weltwirtschaftsorganisation, müssen alle dem Ergebnis der Abstimmung, dem Ziel der Organisation folgen. Das Ende individueller Freiheit wäre die Konsequenz. Und die tatsächliche Enteignung des privaten Kapitals.

Attac ist nichts anderes als die legitime Nachfolgerin der Kommunistischen Internationale, deren Kampflied auf jeder Massenversammlung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ihren kommunistischen Waffenbrüder zuletzt von greisen Stimmen kräftig intoniert wurde: „Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht! Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.“(worüber sich jedes Mal der Rechteinhaber, ein gewisser Medienmanager mit Namen Beierlein freute, weil die Tantiemen sprudelten.

Da ist aus gutem Grund nicht von Völkerrecht die Rede. Sondern von Völkern. Und von Menschenrecht.

Hannes Stein hat am 29. April auf dem Potsdamer Platz um fünf vor zwölf drei Fragen gestellt. Es hatte sich eine Handvoll Demonstranten anlässlich des internationalen Darfur Days zusammen gefunden, um bereits alljährlich gegen die Verbrechen und Morde in jener Region des Sudans zu demonstrieren, die deshalb nicht wahr genommen, weil weniger CNN-Kameras im ganzen Land zu finden sind wie auf einem einzigen Marktplatz in Bagdad. Die drei Fragen waren: Wo ist die Linke. Wo sind die Intellektuellen und Vertreter der Betroffenheitsindustrie. Wo sind die Vertreter der Muslime, die gegen Karikaturen demonstrieren, aber nicht, wenn ihre Glaubensbrüder umgebracht werden. Ich stelle eine Frage zusätzlich. Wo waren die „Globalisierungsgegner“, wo war Attac. Oder ist die Sudanesische Regierung ausreichend demokratisch legitimiert. Wäre die Beteiligung an dieser Demonstration nicht mehr gerechtfertigt, als medienwirksam am Zaun in Heiligendamm zu rütteln ? Aber in Darfur gibt es keine Wasserwerfer, ja nicht einmal Wasser. Sondern Gewehrkugeln und keine Kameras, die die Botschaft der „Globalisierungsgegner“ in die Welt tragen und im Anschluss neue Mitglieder und neue Spenden akquirieren.

Sunday, May 13, 2007

Stalins später Sieg

Das waren noch Zeiten. Alljährlich siegte dann doch Ralph Siegel beim "Televoting" und der "Eurovision Song Contest" hiess noch "Grand Prix de la Chanson d´Eurovision".
Jugoslawien war noch nicht in diverse "Former Yugoslavian Republic" genannte Staaten aufgeteilt, weil Tito das ganze zusammenhielt. Zwar durfte man ausreisen aber im eigenen Lande gab es die "Arbeiterselbstverwaltung", eine besondere Spielart des Sozialismus, die etwas effizienter als die Zentrale Planwirtschaft sowjetischen Typs war und weniger effizient als die Marktwirtschaft. Trotzdem produzierte Volkswagen einen auf dem Golf I basierenden Pritschenwagen mit dem Namen Caddy, jugoslawische Fussball- und Handballtrainer waren prominent, auch wenn das bekannteste Markenzeichen das Cevapcicci vom "Jugoslawen" war, dessen Grillplatten sich in Preis und Masse nur mit denen des "Griechen" messen lassen konnten, während wir vom Italiener hauptsächlich Pizza kannten.

Heute hat die europäische Rundfunkunion 42 Mitglieder inklusive der Türkei, Georgiens, der Ukraine oder Israel. Ländern, die auf den ersten Blick nicht dem Stammland Europas zuzurechnen sind. Auch das Mitgliedsland Russland ist nach dem weitverbreiteten geographischem Verständnis allenfalls bis zum Ural Bestandteil des Kontinents.

Seit ich verheiratet bin - also mehr als 10 Jahre - ist der "Grand Prix", wie es im allgemeinen Sprachgebrauch heisst, Pflichtveranstaltung und wird im Zweifelsfall selbst im türkischen Fernsehen im Urlaub verfolgt. Der Komponistenwettstreit zwischen Ralph Siegel und Alf Igel (unter dem Pseudonym schrieb Stefan Raab seinen ersten Titel für Guildo Horn) war amüsant und letzterer bescherte uns regelmässig einen achtbaren Platz unter den ersten 10.

Spätestens seit dem Sieg Estlands, auf dem just der des Nachbarlandes Lettland folgte, haben die Osteuropäer trotz der Aufregung des Westens erkannt, dass sie gewinnen können, aber nicht zahlen müssen. Das ärgert die Big Four Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die mit ihrer Alimentierung zwar den Startplatz im Finale erkaufen, nicht aber Stimmen und Zustimmung.

Gewiss sind sich die Balten und der Balkan näher in Mentalität und Musikgeschmack. Und stimmen deshalb gerne füreinander ab, während etwa die Deutschen von den österreichischen Nachbarn selten einmal 12 Punkte einfahren konnten.

Aber die Verbrüderung hat auch andere Gründe. Gerade ist uns gewahr geworden, dass Estland eine starke russische Minderheit hat. Wie die Nachbarn Litauen und Lettland. Aber eben auch wie die Ukraine, Weißrussland oder Georgien. Serben leben nicht nur im eigenen Staat. Sondern auch in Mazedonien, Bosnien-Herzegovnia, Montenegro und und und. Und Türken gibt es bei uns in ausreichendem Umfang (auch wenn das andere Gründe hat).

Die Ergebnisse des "Grand Prix" sind Spätfolgen des österreichischen Vielvölkerstaates und seiner stalinistischen Konservierung. Staaten decken nicht die tatsächlichen Lebensräume einzelner ethnischer Gruppen ab und der Stalinismus hinterliess in vielen Ländern russische Minoritäten. Demokratisch oder fair ist dieser Wettbewerb allemal nicht, wenn die Anzahl der Bürger Maltas, Andorras oder des Baltikums das gleiche Gewicht haben wie die Russlands, Deutschlands oder Grossbritanniens. Aber die Chancen der Litauer, Letten, Esten, Weissrussen, Ukrainer, Georgier wachsen natürlich durch die zwangsweise Ansiedlung russischer Minderheiten zu stalinistischen Zeiten. Dass hier allerdings Lesben und Drag-Queens auf die Bühne treten, macht das ansonsten allseits präsente Einerlei der Drum-Machines fast schon vergessen.

Dass entlastet die Geberländer nicht von besserer Performance. Was in diesem Fall ausnahmsweise nicht für den deutschen Beitrag gilt, der wie im letzten Jahr eingedenk des sonst zur Haute getragenen Antiamerikanismus nach Country nun Swing auf eine alteuropäische Bühne brachte. Auch wenn Stalin und Tito sich freuen würden, dass ihre Vielvölkerei wenigstens bei einem Show-Wettbewerb funktioniert. Bevor die Minoritäten sich wieder in kriegerischen Konflikten üben.

Saturday, May 12, 2007

Zahlensalat !

Fritz Schäffer brauchte keine Steuerschätzer. Der erste Bundesminister der Finanzen von 1949 – 57 schaffte es, in seiner Amtszeit ein Plus von 8 Mrd DM zu erwirtschaften, was heute etwa 35 Mrd € entsprechen würde. Nach dem Aufbewahrungsort des „Reichskriegsschatzes“ in der Spandauer Zitadelle wurde seine sparsame Haushaltsführung Finanzpolitik des Juliusturms genannt. Um ein solches Ergebnis zu erreichen, brauchte der katholische Bayer keine externe Expertise. Der „Arbeitskreis Steuerschätzung“ bestehend aus Bundesministerium für Finanzen, für Wirtschaft, den sechs „großen Wirtschaftsinstituten“, dem statistischen Bundesamt, der deutschen Bundesbank, dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den Länderfinanzministern und den kommunalen Spitzenverbänden nahm erst 1955 seine Arbeit auf. Nachdem Schäffers Guthaben für die Bundeswehr verwendet wurde, gab es seither allenfalls gelegentlich einen annähernd ausgeglichenen Haushalt. Die offen ausgewiesene Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland beträgt 1,5 Billionen Euro. Die vom Bundespräsident Horst Köhler, neben dem Finanzminister der einzige Ökonom in den höchsten deutschen Staatsämtern (allerdings mit internationaler Erfahrung bei Osteuropabank und Internationalem Währungsfonds), bezifferte die versteckte und offene Verschuldung (ungedeckte Pensionszusagen für Beamte, nicht durch zukünftige Beitragszahlungen gedeckte Rechtsansprüche aus der Sozialversicherung) auf über 7 Billionen €. Grund genug sich einmal mit dem Erkenntnisgewinn auseinander zu setzen, den die alljährliche Schätzung uns wirklich bringt. Und jener Arbeitskreis Steuerschätzung bringt die Republik zum Jubeln. Nahezu unendliche Ausgabenzuwächse werden Bund und Ländern in Aussicht gestellt und wecken schon Begehrlichkeiten aller Art. Und das wohl kaum zu Recht.

Zweimal im Jahr trifft sich der geballte ökonomische Sachverstand in Form des Arbeitskreises. Im Mai wird eine große Prognose für die nächsten 5 Jahre gewagt, Anfang November ein wenig auf die kurzfristige Sicht korrigiert. Aber auch mit einer gewissen Unschärfe. Die Steuereinnahmen 2002 etwa waren um 6 Mrd € höher als noch am 6. November desselben Jahres vom Schätzerkreis erwartet. Das ist eine Ungenauigkeit von 3 Mrd € pro Monat. Aufs Jahr hochgerechnet ergäbe das einen Korridor von rund 36 Mrd. €.

Auf vier Jahre ergeben das rund 120 Mrd € Schwankungsbreite. Und in denen bewegen sich die mit viel Euphorie verkündeten 87 Mrd € zusätzlichen Einnahmen des Bundes bis 2011. Und die Homepage des Bundesministers der Finanzen beeilt sich, zeitgleich mit der Veröffentlichung mit einer hübschen interaktiven Grafík klar zu machen: Bus auf ein paar Milliärdchen ist das alles schon verplant. Wer das für zu kurzfristig hält, dem sei ein weiteres Zahlenbeispiel vorgehalten:

Die letzte Schätzung, die sich also an der Realität bewähren kann, stammt aus dem Jahr 2002. Damals schätzte man die Steuereinnahmen des Bundes des Jahres 2006 auf satte 231,3 €, 27,4 mehr als die tatsächlich erreichten blassen 203 Milliarden €, fast jenen Betrag, der in der Herbstschätzung 2006 für das Jahr 2007 (230,5 Mrd €) ausgewiesen wurde. Vergleicht man die Schätzung von 2002 mit den realen Ergebnissen so ergibt sich ein Minus von satten 91,9 Mrd € alleine für den Bund. Das sind nur 6 Mrd € mehr als das Minus der Schätzung 2002 ausmacht. Nimmt man die 2001 erzielten 193,6 Mrd € zum Maßstab, so hätte die Schätzung ein Plus gegenüber den realen Einnahmen (nicht den Schätzungen) von 98,8 Mrd € zur Folge gehabt, das sind mehr als die bis 2012 avisierten 87 Mrd €. Weil der „Schätzerkreis“ lediglich die Abweichungen der letzten Schätzung mit den realen Ergebnissen ausweist und ansonsten lediglich auf die Differenz der jeweiligen Schätzungen abstellt, verwässert und immunisiert er das Ergebnis seiner Arbeit gegen Kritiker.

Anders ausgedrückt: Es ist kein Wunder, dass Fritz Schäffer ohne den Schätzerkreis die bessere Haushaltspolitik gemacht hat. Der Erkenntnisgewinn durch diese Gruppe orientiert sich an der Qualität der zentralen Plankommission der Deutschen Demokratischen Republik. Nicht die Abweichung von der Realität wird gemessen, sondern die vom Plan. Anders gesagt: Die Welt als Wille und Vorstellung (s.a. Schopenhauer) dient alljährlich als Grundlage für die Aufstellung des Staatshaushaltes. Dabei ist schon die so erheblich, dass die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Instrumente der deutschen Finanzpolitik begründet sind.

Für die fehlerhaften Prognosen gibt es drei Gründe. Zunächst einmal ist das schwierige an ihnen, dass sie die Zukunft betreffen (Mark Twain). Dann versuchen sie in einer komplexen arbeitsteiligen Welt das Wirtschaftswachstum vorher zu sagen. Welche Auswirkungen auf die Weltökonomie hätte aber ein angekündigter Nuklear-Angriff des Iran auf Israel. Oder ein terroristischer Anschlag auf einen Ölhafen oder eine Pipeline. Oder ein vorübergehender Gas-Boykott Russlands gegen Mitteleuropa zur Durchsetzung höherer Preise wie gegen die Ukraine oder Weißrussland. Oder ein Erdbeben. Oder oder oder.

Zweitens wachsen die Wirtschaft und das Volkseinkommen damit ja nicht linear. Meistens nehmen etwa die Exporte stärker zu als die inländische Nachfrage. In diesem Fall können Unternehmen Gewinne und damit ihre Steuerpflicht leicht auf ausländische Tochtergesellschaften verlagern, in dem sie denen niedrigere Verrechnungspreise in Rechnung stellen. Dann würden die Steuereinnahmen weniger stark steigen.

Lag etwa die so genannte Beschäftigungsschwelle bei 2,5 % Wirtschaftswachstum (also dem Wachstum, ab dem wieder eingestellt wird), so ist diese offensichtlich durch Hartz IV erheblich gesunken. Damals erhielten Arbeitslose im zweiten Jahr Arbeitslosenhilfe, die zwar steuerfinanziert wurde, sich aber trotzdem am früheren Einkommen und Lebensstandard orientierte. Was die Neigung, eine schlechter bezahlte Aufgabe zu übernehmen, nicht erhöht. Das Arbeitslosengeld II ist dagegen für alle gleich hoch und soll lediglich das „Existenzminimum“ absichern. Dadurch sinkt der Erwartungslohn, ab dem der Erwerbslose bereit ist, zu arbeiten auf ein Niveau, das rund 20 % über Hartz IV liegt und nicht 20 % über ALG II. Die deutliche Beschäftigungszunahme bei geringem Wirtschaftswachstum hat aber wieder Folgewirkungen. Durch die Mitarbeit entsteht mehr Gewinn und damit steigt auch die Steuerpflicht des Unternehmens. Das ist in den alten „ökonometrischen Modellen“ so nicht angenommen worden und wurde vermutlich korrigiert.

Der letzte Grund liegt in der Komplexität und stetigen Veränderung des Steuerrechts. Das hat nicht nur die Aufgabe, Einnahmen für den Staat zu erzielen, sondern soll den Zielen der Regierung dienen. Der Staat erlässt Steuern bei Wohlverhalten, etwa wenn man in erneuerbare Energien investiert. Oder wenn man Wärmedämmungsmaßnahmen an seinem Eigenheim durchführen lässt. Er besteuert unterschiedliche Einkommen völlig unterschiedlich. Fünf verschiedene Einkommen kennt das Steuerrecht: etwa aus Arbeit, aus Kapitaleinkünften aus Vemietung und Verpachtung und aus Land- und Forstwirtschaft. Das ganze Steuerrecht ist ein System von kommunizierenden Röhren, an denen ständig herum gefuhrwerkt wird. Ob die einzelne Änderung aber den gewünschten oder prognostizierten Effekt hat, wird nirgends öffentlich und entzieht sich so der Überprüfung.

Allerdings macht sich auch keine deutsche Edelfeder oder Qualitätszeitung die Mühe, die Qualität der Prognosen und der Schätzer zu überprüfen. Als Prof. Paul Kirchhof, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., sein neues Einkommenssteuerrecht vorstellte, schallte es „unfinanzierbar“ aus allen Ecken. 42 Mrd. € Ausfälle im ersten und 12 Mrd in jedem weiteren Jahr seien zu befürchten. Macht in der Summe 88 Mrd €. Das sind nur 3 Mrd. € weniger als der kleine Betrag, um den sich die Schätzer 2002 vertan haben. Und dabei stimmt der Betrag nicht einmal. Weil die Steuerstatistik nicht das tatsächliche Einkommen und die tatsächlichen Gewinne erfasst, sondern nur die bereits um die Abzugsmöglichkeiten gekürzte „Bemessungsgrundlage“. Weil aber die vollständigen Einkommen nicht bekannt sind, kann auch nicht kalkuliert werden, wie hoch die Mehreinnahmen gewesen wären. Das war ein Grund. Der andere kommt später.

Wie so viele andere „moderne“ Instrumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist der Arbeitskreis Steuerschätzung einfach nutzlos. Er dient der Verschleierung der tatsächlichen Entwicklung der Steuereinnahmen und soll für den Bürger unkenntlich machen, wie stark der Entzug privater Mittel für öffentliche Zwecke Jahr für Jahr anwächst. Warum braucht der Staat immer mehr Geld ? Gerade in besseren Zeiten müsste der Bedarf doch sinken und nicht um 50 Mrd. € steigen.

Für die Finanzplanung gibt es eine einfache verlässliche Meßlatte. Die tatsächlich eingenommenen Mittel des Vorjahres. Die haben fast schon eine keynesianistische Funktion. Wenn tatsächlich höhere Einnahmen erzielt werden, können diese für die tatsächliche Schuldentilgung verwendet werden. Nur in konjunkturell schlechten Jahren, in denen die Steuereinnahmen tatsächlich sinken wie in den vergangenen Jahren, ergibt sich ein – geringes – Defizit.

Aber selbstregulierende Mechanismen mag der Politiker nicht. Sie verhindern Stimmenmaximierung

Sunday, May 06, 2007

Die Vergesellschafter

Vor 30 Jahren zeigte das deutsche Fernsehen „Unser Walter“, einen Mehrteiler, der nicht aus dem seinerzeitigen Leben des Bundespräsidenten Walter Scheel berichtete. Mit seiner volkstümelnden Art wäre der geübten Sänger und Vorläufer Karl Moiks („Hoch auf dem gelben Wa a a gen, sitz ich beim Schwager vorn) gerade zu prädestiniert gewesen für die erste Doku-Soap. Stattdessen ging es um eine „ganz normale“ deutsche Familie und ihre Sorgen mit ihrem mongoloiden Sohn Walter im Alltag, der für geistig Behinderte beschwerlich war. Wim (Thoelke), Wum und später auch Wendelin kümmerten sich derweil um die Popularisierung der „Aktion Sorgenkind“, in dem ein mit Schirmmütze versehener Geldbriefbote (gab es damals noch) mit Namen Sparbier die Gewinner der Lotterie bekanntgab, die zum Wohle der Sorgenkinder vom Zweiten Programm des Deutschen Fernsehens veranstaltet wurde. Zwischen Raterunden und Showeinlagen trugen dann später beim „Großen Preis“ adrette Assistentinnen die Gewinnernamen auf Klemmbrettern auf die Bühne und durften gelegentlich auch einmal ihr Lesevermögen durch Bekanntgabe eines Gewinners unter Beweis stellen. Irgendwann, Wim war schon lange tot und die Gestaltung einer quotenträchtigen Show rund um das Lottoglück machte offensichtlich zunehmend Schwierigkeiten, fiel dann vermutlich irgendeinem bezahlten Minderheitenbeauftragten auf, dass „Sorgenkind“ genauso political incorrect war wie die Bezeichnung „mongoloid“ (Dow-Syndrom muss es heißen.) Ein Relaunch war geboten: Mit der „Aktion Mensch“ gerieten wir alle offensichtlich ins Visier der Gutmenschen vom Lerchenberg:

Die ehrenwerte Gesellschaft des Sozialstaats hat sich hier zusammengeschlossen: Von der Arbeiterwohlfahrt über den Deutschen Caritasverband, den Sozialverband Deutschland e.V., den Sozialverband VdK, das Weibernetz e.V. über die Unterstützer BUND, den Deutschen Berufsverband für Altenpflege e.V., Inkota, Oxfam, dem Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. bis hin zum „ideellen Unterstützer Deutscher Gewerkschaftsbund“ haben rund 90 Institutionen eine neo-marxistisch-christliche Gutmenschen-Allianz unter dem Motto „In jedem von uns steckt eine Bedürftige“(O-Ton) die Zielgruppe der alten Aktion Sorgenkind und ihr „Mission Statement“ radikal verbreitert. Dass die neu formierte kommunistische Internationale, die weltweit unter dem Namen Attac auftritt, inicht dabei ist, ist vermutlich nur deshalb nicht bei der gigantischen Sozialstaatskampagne „die Gesellschafter“ vertreten, mit der die Profiteure des Sozialbudgets ihren Aktionsradius, ihren Einfluss und ihr Budget zielgerichtet verbreitern will. Der Titel „Gesellschafter“, der üblicherweise mit ihrem Kapitaleinsatz haftende Teilhaber eines Unternehmens bezeichnet, ist gänzlich irreführend. Gemeint ist schließlich nicht die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben, sondern deren Abtretung an Caritas und Konsorten, also deren „Vergesellschaftung“, was man auch mit Enteignung gleich setzen kann. Bemerkt ähnlich auch Bodo Wünsch auf seinem hervorragenden Blog Freiheit, Markt, Recht, an dem er dankenswerterweise auch an den 30. Todestag Ludwig Erhards erinnerte.

Der Zweck der ganzen Angelegenheit wird offenbar, wenn man dem lesenswerten Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ frönt, wo es der VWL-Professor Rainer Hank unternommen hat, die „heimlichen Gesächfte von Caritas, Diakonie & Co“ einer ökonomischen Analyse zu unterziehen:

„Von rund 1,5 Millionen hauptamtlich Beschäftigten und einem geschätzten Jahresumsatz von 55 Milliarden Euro ist die Rede. Allein die Zahl der Arbeitsplätze bei den großen Fünf der Mildtätigkeit hat sich seit 1970 mehr als verdreifacht. Ganz genau weiß das niemand, denn die Branche weigert sich beharrlich, ihre Zahlen offen zu legen. Konzernbilanzen sucht man vergebens.“

„Es ist merkwürdig, dass eine Wachstumsbranche im Dienstleistungsmarkt – der Klassiker für „Produkte“, die nicht von der Globalisierung bedroht sind, weil sie nur hierzulande „an Frau und Mann“ erbracht werden können – im chaotischen Niemandsland intransparenter Dunkelheit ihr Leben fristet: organisiert zwischen Schwarzarbeit und steuerlich privilegierter Gemeinnützigkeit und korporatistisch beherrscht von einem Oligopol einiger wohlfahrtspflegender Institutionen. Denn die Ratio würde eigentlich verlangen, dass solch personenbezogene Dienstleistungen ein Musterbeispiel einer marktwirtschaftlich organisierten Zukunftsbranche reicher Gesellschaften sein könnte.“

Aber die „Wohltäterindustrie“ hat einen anderen Anspruch für ihr ordentliches Auskommen:
„Anwalt der Benachteiligten“ will man sein und dafür zuständig, „Solidarität in der Gesellschaft“ zu stiften. So steht es in einem „Argumentationspapier“ der Caritas. Und diese bedingt natürlich nicht unternehmerische Tätigkeit, sondern gemeinnütziges Engagement, mit dem man 73 % seiner Einnahmen aus staatlichen Quellen generiert, ohne sich dem Druck des Wettbewerbs wirksam zu stellen. Nochmal Hank:

"Der anwaltschaftliche Diskurs erlaubt zugleich, sozialpolitische Forderungen zu Marketingzwecken zu nutzen, dies aber zugleich zu verschleiern. Wenn immer die Verbände die Kürzungen des Sozialstaates geißeln, dann tun sie das nicht nur im Namen der Nächstenliebe, sondern auch, um das finanzielle Wohlergehen ihrer eigenen Kindertagesstätten, Fortbildungshäuser und Beratungsdienste zu sichern. Die Wohlfahrtsindustrie lobt sich ganz offen dafür, die Einführung der Blümschen Pflegeversicherung erkämpft zu haben. Sie hat zugleich außerordentlich davon profitiert. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass die Branche sich jetzt auch besonders stark macht für das von der Leyensche Krippenbauprogramm. Angebotsinduzierte Nachfragesteuerung nennen Ökonomen dieses Verfahren. Es ist vor allem aus dem Gesundheitswesen bekannt.“

Besser hätte man die wahre Intension der bei den Gesellschaftern zusammengeschlossenen Sozialstaatsmafia nicht definieren können. Es geht schliesslich auch um die Beibehaltung der „Gemeinnützigkeit“. Alleine durch Entfall von Körperschafts- und Gewerbesteuer sparen die Wohltäter rund 600 Mio. DM, sie setzen Gratisressourcen in Form von Freiwilligen aber auch Zivildienstleistenden (für die das faktisch eine „Sondersteuer für junge wehrtaugliche Männer“ ist) und sie dürfen Spendenquittungen ausstellen (auch wenn das nur 3 % ihrer Einnahmen macht). Eine Tradition, die bereits im Jahre 1916 begann, als die katholische Caritas den Sozialstaat als Finanzierungsquelle entdeckte und damit das gigantische Wachstum der Sozialstaatsindustrie begann.

Trotzdem weist Hank darauf hin, dass private Anbieter, überall dort, wo sie auftreten, trotz Wettbewerbsnachteilen gegen die subventionierten Caritativen massiv Marktanteile gewinnen. Noch ein Grund, warum die „Gesellschafter“ Gewinnstreben und Unternehmertum verteufeln. Sie scheuen den Wettbewerb.

Die Kampagne ist hinterhältig, weil sie viele gutgläubige Gutmenschen vor einen kommerziellen Karren spannt, den sie doch mit Stempel auf der Website verneint und mit dem sie sich Medienpartnerschaften von ARD über Spiegel bis zum ZDF erschlichen hat. Es geht doch scheinbar um Teilhabe und Bürgergesellschaft, um Haftung geht es nicht. Die Medien stellen Bannerflächen und Werbezeiten kostenlos zur Verfügung, die vermutlich einen Millionenwert haben und von der Kampagne professionell bespielt werden. Testimonials, die ganz normale Bürger darstellen, werden perfekt ausgeleuchtet präsentiert. Gideon Boess hat die Absurdität dieser Aussagen bei WOMD perfekt persifliert.

Die teure Präsentation und die umfangreichen Vorteile, die offensichtlich einer Umsatzsteigerung und Gewinnabzielungsabsicht dienen, stellen das Privileg der Gemeinnützigkeit in Frage. In den Achtziger Jahren hat Otto Graf Lambsdorff im Hinblick auf die gescheiterten gemeinwirtschaftlichen Aktivitäten (oder sollte es besser gemeinen wirtschaftlichen heißen) des DGB bei „Neue Heimat“; „Bank für Gemeinwirtschaft“ und „COOP“ festgestellt: „Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz“. Dem wäre eigentlich nichts hinzu zufügen.

Wäre da nicht jene obskure Veranstaltung am vergangenen Sonntag, als eine handvoll Menschen durch Berlins Mitte zogen, um auf Hunderttausende Ermordete und Hunderttausende Vertriebene und Millionen Hungernde in Darfur, Sudan hinzuweisen. Wo waren sie da, die „Gesellschafter“. Aber es ging ja nicht um die Erträge der deutschen Sozialstaatsindustrie.

Wednesday, May 02, 2007

Die Fünf-Prozent-Hürde…

kennen wir üblicherweise als Marktzugangsbeschränkung im Parteienstaat, um das bestehende Oligopol zu schützen. Heute wollen wir uns mit einem anderen Fünf-Prozent-Phänomen beschäftigen. Nur 5 Prozent der Hartz IV- Empfänger haben es trotz ARGEs und „Fordern und Fördern“ geschafft, einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz zu ergattern. Sagte Prof. Olaf Siebert auf der unten reportierten Veranstaltung. Er relativiert das Jubelgeschrei der Bild-Zeitung über 822.000 weniger Arbeitslose erheblich.

Denn maßgeblich für die Beschäftigung einer Volkswirtschaft ist nicht die Anzahl derjenigen, die als arbeitslos geführt werden. Sondern der Anteil an der Bevölkerung, der mit seiner eigenen Arbeit zur Wertschöpfung beiträgt. Zwar bemüht sich die Bundesanstalt für Arbeit in einem 51-seitigem Bericht um Auskunft, wie sich der Arbeitsmarkt unter ihrer Ägide verändert. Aber die Europaweit transparente Beschäftigungsquote weist sie nicht aus.

Zum Bericht: Nicht alle Arbeitslosen beziehen Arbeitslosengeld I, II oder Sozialhilfe. Aber weit mehr Menschen beziehen diese Leistungen ohne in der Statistik als arbeitslos geführt zu werden. 1,3 Millionen Bürger erhalten Arbeitslosengeld I, rund 2,6 Millionen Arbeitslose Arbeitslosengeld II, . Was nichts anderes heisst, dass rund 1/3 der hier aufgeführten kürzer als 12 Monate und rund 2/3 der aufgeführten länger als 12 Monate ohne Job sind. Tatsächlich erhalten aber nicht 2,6 Millionen Menschen „Hartz IV“, sondern 5,2 Millionen. 2,5 Millionen Bürger erhalten heute bereits Hartz IV, ohne durch „Fordern und Fördern“ dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen (Hartz IV als verstecktes „bedingungsloses Grundeinkommen ?). Hinzu kommen noch 1,8 Millionen Sozialgeldempfänger. Macht in der Summe 8,32 Millionen Menschen, die vom Sozialstaat alimentiert werden. Wie viele Ehefrauen, -männer, Freundinnen oder Kinder noch hinzu kommen, ist nicht abzuschätzen. Immerhin ca. 3,7 Millionen so genannte Bedarfsgemeinschaften bestehen, in denen ein Hartz IV Empfänger mit mehreren anderen Menschen zusammenlebt. 612.000 ALG II – Bezieher haben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, die für den Lebensunterhalt nicht ausreicht (etwas mehr als 10 % - Zahl stammt aus dem Oktober – Kombilohn?). Weitere 262.000 Hartz IV-Empfänger waren in „Arbeitsgelegenheiten“ beschäftigt. Nach dem ILO-Konzept (Weltarbeitsorganisation), nach dem jeder bereits ab der ersten Stunde Arbeit als nicht erwerbslos gilt, sind 3,3 Millionen ohne jedes Erwerbseinkommen. Demnach müssten rund fünf Millionen ein Zusatzeinkommen haben.

Nach der Statistik erhielten rund 6,291 Mio Menschen Lohnersatzleistungen nach SGB II (ALG II) oder III (ALG I), zählt man die in der Tabelle angegebenen Arbeitslosengeld I und Arbeitslosengeld II – Empfänger zusammen, so müssten es 100.000 mehr sein. 100.000 Menschen, nicht Millionen oder Milliarden (Bei Milliarden und Billionen vertue ich mich ja gerne mal).

3.397.000 oder 54 % aller Leistungsempfänger waren nach Angaben der Bundesagentur tatsächlich arbeitslos. Wenn aber fast 4 Millionen als arbeitslos gemeldet sind, bekommen rund 600.000 heute überhaupt keine Leistung, während rund 2,2 Millionen Lohnersatzleistungen erhalten, die in der Statistik nicht als arbeitslos geführt werden. Insgesamt bekamen 447.000 Menschen weniger als vor einem Jahr Arbeitslosengeld I oder Arbeitslosengeld II.

Aus der „Zugangs- und Abgangsquote“ lässt sich alles erkennen, nur nicht, wie viel Prozent der Arbeitslosen eine neue sozialversicherungspflichtige Stellung gefunden haben.

78.500 Personen haben eine „Arbeitsgelegenheit“ angetreten, 284.000 üben derzeit einen solchen nach Wolfgang Clement genannten „Ein-Euro-Job“ aus, bei dem sie tatsächlich 1,50 verdienen. 12 % mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.

Nicht arbeitslos sind übrigens „Beschäftigte Personen, die mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten, aber wegen zu geringem Einkommen bedürftig nach dem SGB II sind und deshalb Arbeitslosengeld II erhalten, werden nicht als arbeitslos gezählt.“ Und… erwerbsfähige hilfebedüftige Personen, die keine Arbeit aufnehmen können, weil sie kleine Kinder erziehen oder Angehörige pflegen…“.

Und noch ein sprachliches Beispiel für die Präzision der Nürnberger „Arbeitsbürokraten“:
„Oberstes Ziel aktiver Arbeitsmarktpolitik ist die dauerhafte Integration von Arbeitslosen in reguläre Beschäftigung, also in eine Tätigkeit am ersten Arbeitsmarkt. Diese Eingliederungswirkungen und ihre Auswirkung auf den Arbeitslosenbestand
sind eher mittelfristig und aktuell kaum quantifizierbar. Abgesehen davon reduzieren zahlreiche arbeitsmarktpolitische Maßnahmen den gesamtwirtschaftlichen Bestand an Arbeitslosen vorübergehend auch unmittelbar, und zwar vor allem dadurch, dass zuvor arbeitslose Personen für die Dauer ihrer Teilnahme nicht mehr als Arbeitslose
gezählt werden. Nur in diesem Sinn ist hier von „Entlastungswirkung“ die Rede.“

Und wer noch herausgerechnet wird, wird so freundlich als „Entlastungsrechnung“ aufgezählt, obwohl Bund oder Bundesagentur fleissig zahlen:

„Folgende arbeitsmarktpolitische Instrumente werden aktuell in die Entlastungsrechnung einbezogen:
- Kurzarbeit: Zahl der Kurzarbeiter mal durchschnittlichem Arbeitszeitausfall,
- Maßnahmen des zweiten Arbeitsmarktes: Arbeitsgelegenheiten, Einstiegsgeld Variante Beschäftigung, ABM,
traditionelle SAM und BSI,
- Qualifizierung: berufliche Weiterbildung, Trainings- und Eignungsfeststellungsmaßnahmen, berufliche Wiedereingliederung
Behinderter ,
- Vorruhestandsähnliche Regelungen: Inanspruchnahme des § 428 SGB III im Rechtskreis SGB III und Personen
in geförderter Altersteilzeit,
- Teilnehmer an Personal-Service-Agenturen,
- Förderung der Selbständigkeit: Existenzgründungszuschuss (Ich-AG) , Überbrückungsgeld, Gründungszuschuss
und Einstiegsgeld Variante Selbständigkeit“

51 Seiten als Muster ohne Wert, bewusste Verschleierungstaktik einer jahrzehntelang erfolglosen „Arbeitsmarktpolitik“ kann man sich allmonatlich völlig zweckfrei zu Gemüte führen, ohne wirklich zu wissen, wie viel Menschen tatsächlich arbeitslos geworden sind oder eine Beschäftigung erhalten haben. Dazu trägt bei, dass das Zahlenmaterial inkonsistent ist: Mal stammen die Angaben aus dem März, mal aus dem Oktober, mal sind sie geschätzt, dann stammen sie aus den Arbeitsagenturbezirken, die bereits mit der neuen Software der Nürnberger Zentrale ausgestattet sind, die aber keinen Vergleich etwa im Hinblick auf die Qualifikation der Arbeitslosen zulassen, weil das alte mit dem neuen System nicht kompatibel ist. Hinzu kommen sprachliche Ungenauigkeiten: „Gegenüber dem Vorjahr hat die Erwerbstätigkeit um 601.000 zugenommen, nach +579.000 im Februar.“ Demnach hätte die Arbeitslosigkeit in den letzten zwei Monaten alleine um 1,2 Millionen zurückgehen müssen.

Tatsächlich hat sich die Lage nicht wirklich wesentlich verbessert zu haben. Tatsächlich hat die Zahl aller Erwerbstätigen von knapp unter 39 Millionen Anfang 2004 sich zunächst auf gleichem Niveau gehalten und hat sich „saisonbereinigt“ um 56.000 auf 39,11 Millionen verbessert. Die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten stiegen gegenüber dem Vorjahr um 650.000. Eine deutliche Differenz gegenüber dem angeblichen Rückgang der Arbeitslosigkeit um 1,5 Millionen. 822.000 Arbeitslose weniger, davon rund 622.000 tatsächliche neue Beschäftigte, dass ist nicht mehr als die regelmässige Schwankung in der Auslastung der Volkswirtschaft. Sagt auch Wolfgang Franz, Mitglied des Sachverständigenrates heute morgen im Deutschlandfunk. Um die seit 40 Jahren wachsende strukturelle Arbeitslosigkeit (genauso genommen seit der ersten grossen Koalition von 1967) zu bekämpfen, brauchen wir ein neues Angebot von Arbeitsplätzen, die insbesondere denjenigen eine Chance geben, die zu den 2/3 der Arbeitslosen gehören, die seit mehr als einem Jahr keinen Arbeitsplatz gefunden haben.

Was wir nicht brauchen, ist ein monatlicher Arbeitsmarktbericht, den keiner versteht und der die Tatsache, dass Hälfte der Deutschen keine Erwerbsarbeit haben, verschleiert. Oder wie Winston Churchill richtig sagte: „Glaub nur der Statistik, die Du selbst gefälscht hast.

Tuesday, May 01, 2007

Vom Bierdeckel zum Bürgergeld

Carsten Schneider (32), SPD-Bundestagsabgeordneter hat sich verdient gemacht. Vielleicht nicht ums Vaterland, aber für sich selbst. Der Mann sitzt trotz seiner jungen Jahre bereits seit fast 10 Jahren im deutschen Parlament. Da sind die Pensionsansprüche sicher, Lebenserfahrung außerhalb des Berliner Politikbetrieb weitgehend ausgeschlossen und die Abhängigkeit vom aussichtsreichen Listenplatz maximal.

Nun hat er letzte Woche bei Spiegel Online einen Kommentar zum „kostenlosen Grund¬einkommen“ abgelassen, der der Sozialstaatsmafia die Freudentränen in die Augen treibt. Einzelfallgerechtigkeit sei herzustellen anstelle eines sozial ungerechten Grundeinkommens, wie es der Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus vertrete. Schließlich werden die niedrigen Einkommen in Althaus Modell mit 50 % besteuert, die hohen nur mit 25 %, behauptet Schneider. Skandal, Umverteilung von unten nach oben. Die Sozialpolitiker greifen schnell in die Etikettenschublade „sozial ungerecht“. Der SPON- „Gast-Kommentar“ erschien rechtzeitig zu einer Veranstaltung der Stiftung Marktwirtschaft zum Thema „Bürgergeld oder kostenloses Grundeinkommen“ am letzten Mittwoch in den heiligen Hallen des Bundestages, dem CDU/CSU-Fraktionssaal im Reichstag. Sie hatte mit dem anthroposophischen Großdrogeristen Götz Werner und dem thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus die beiden Protagonisten von Grundeinkommen und Bürgergeld eingeladen, um sie der Kritik der Wirtschaftsprofessoren Clemens Fuest und Horst Siebert zu stellen. Wer jetzt weiter liest sei gewarnt. Es wird grundsätzlich. Und es dauert etwas länger.


DER BEDARF

Der deutsche Sozialstaat schafft sich den Bedarf, den er erfüllt, seit Jahrzehnten selbst. Er wird immer umfangreicher, trotzdem steigt die Armut und die Arbeitslosigkeit. Ein Beispiel für totales Organversagen. 138 von über 150 Sozialtransfers von der Kleiderhilfe für Neugeborene Sozialhilfeempfänger bis zur Rente werden von Arbeits-, Sozial- und Versorgungsämtern, BaFög-, Kinder-, oder Wohngeldstellen verwaltet, beschieden, zugesprochen. Allein in der Arbeitsverwaltung werden 90.000 Menschen beschäftigt, leider habe ich keine Statistik über die Gesamtbeschäftigtenzahl zur Hand, aber die meisten DAX-Konzerne dürften weniger Mitarbeiter haben, in Deutschland allemal. Das verteilte Volumen macht rund die Hälfte des Deutschen Inlandproduktes aus, über 700 Mrd €, von denen ca. 2/3 der doppelten Fiktion der so genannten „Beitragsfinanzierung“, mit der die Bürger „Ansprüche“ gegen der Sozialversicherung erwerben, unterliegen.

Die Beiträge sind Zwangsabgaben der Lohn- und Gehaltsempfänger, die aus Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträgen bestehen. Diese Finanzierung sei solidarisch, weil sich auch die Arbeitgeber mit ihren Beiträgen beteiligen. Um die Illusion komplett zu machen und die „gesellschaftlichen Gruppen“ zum Komplizen zu machen, erhalten die Funktionäre von Arbeitgeberverbänden und Arbeitnehmerverbänden Sitz und Stimme in Verwaltungsräten der so genannten Selbstverwaltung. Über die Höhe der Transferleistungen und der Zwangsbeiträge entscheidet aber nicht die Selbstverwaltung, sondern der Gesetzgeber.

Tatsächlich sind diese Beiträge jedoch Teil des vom Arbeitnehmer erwirtschafteten Einkommens und nicht solidarische Zahlungen des Arbeitgebers an das System: Beschäftigt das Unternehmen den Mitarbeiter nicht, bleiben die Arbeitgeberbeiträge schließlich aus. Für den Unternehmer ist es ärgerlich, dass er die Arbeitskosten an drei und nicht an ein Konto überweisen muss. Die Lohnbuchhaltung muss nicht nur die jeweiligen Anteile berechnen, sondern auch „An- und Abmeldungen“ bei Finanz- und Sozialversicherungsverwaltung durchführen, sowie mit dem Finanzamt kommunizieren.

Althaus gibt die Kosten der Sozialstaatsbürokratie mit 3,8 Mrd € an, was mir recht niedrig erscheint und mit Sicherheit nicht die Bürokratiekosten in den Unternehmen berücksichtigt. In jedem Fall ist es doch das Doppelte von dem was die Weltgemeinschaft für die Erforschung ihrer vermeintlich größten Bedrohung, der „Klimakatastrophe“ aufwendet.


DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN ODER DIE NEGATIVE EINKOMMENSSTEUER

Götz Werner ist ein Visionär. Er glaubt an das Gute im Menschen und will ihm Gutes tun. Jeder soll ein kostenloses Grundeinkommen erhalten, das ihm mehr als nur die Existenz garantiert. Und finanziert werden soll das bei Abschaffung des Sozialstaates über eine Konsumsteuer, also eine Mega-Mehrwertsteuer. Der Apfel soll erst versteuert werden, wenn er geschält wird und nicht, wenn er wächst.

Althaus´ Modell ist eine stark abgewandelte Variante der negativen Einkommenssteuer von Milton Friedman, vermischt mit dem Grundeinkommen. Wenigverdiener erhalten 800 €, Vielverdiener 400,00 €, Kinder 500 und Rentner einen zusätzlichen Aufschlag. Je Person wird eine pauschale Krankenversicherungsprämie von 200 € abgezogen. Wenigverdiener müssen bis 1600 € 50 % Steuern auf das Verdiente zahlen, Vielverdiener 25 %. Das erzürnte den Herrn Schneider besonders, genauso wie den seinen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Grotthaus in der Podiumsdiskussion, der als ehemaliger Oberhausener Oberbürgermeister wissen müsste, dass der bisherige Sozialstaat den Strukturwandel im Ruhrgebiet auch nicht bewältigt hat. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Herren sich dümmer stellen, als sie sind. Der höhere Steuersatz ist ein Ausgleich für das ursprünglich doppelt so hohe Bürgergeld, dessen Wirkung bei einem höheren Verdienst negiert werden soll.


DER VERRISS

Dann kommt die volkswirtschaftliche Expertise zu Wort. In Gestalt der Hochschulprofessoren Clemens Fuest, Universität Köln, Institut für Finanzwissenschaft und Horst Siebert, emeritierter Chef des Instituts für Volkswirtschaftslehre in Kiel.

Fuest, Mitglied des liberalen Kronberger Kreises hat mit Hilfe des „Mikrosimulationsmodell“ seines Instituts auf der Datengrundlage von „FAST/SOEP“ die Wirkungen des Althaus-Modells mit einer Variante, die eine höhere Anrechnung (60 statt 50 %) und eine höhere Flat-Tax 30 statt 25 % vorsieht. Wie bei all diesen Modellen wird das Ergebnis vollständig durch die Annahmen, die zur Modellkonstruktion führen, bestimmt. Da kann man noch so oft simulieren.

Bei FAST/SOEP handelt es sich um ein so genanntes ökonometrisches Modell, das auf der Basis statistischer Erhebungen aus der Vergangenheit das Verhalten in der Zukunft schätzen können soll. Und das ist das Problem: Statistische oder mikro-ökonomische Daten sind nur aus der Vergangenheit aggregierbar, nicht jedoch für die Zukunft.

Fuests Hypothese lautet: Alleinstehende Frauen arbeiten nicht, wenn sie ein Bürgergeld erhalten. Sie erziehen dann lieber ihre Kinder. Hat er so gesagt. Deshalb stehen sie dem Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung und der Finanzbedarf steigt. In der Summe mache das ein Minus von zwischen 900.000 und 1,5 Millionen Vollzeitstellen aus. Dadurch entsteht ein höherer Finanzbedarf für Sozialleistungen zwischen 73,3 (Althaus) und 10,9 Mrd €.

Fuest nennt als Alternative den Kombilohn. Nur wer arbeitet, bekommt auch was dazu, so dass es zum Leben reicht. Der restliche Sozialstaat bleibt, wie er ist. Das hat einen Beschäftigungseffekt. Also Sozialtransfer Nummer 139. Eine komplexe Gesellschaft braucht eben einen komplexen Sozialstaat und ein komplexes Steuersystem. Sagt Fuest. Macht der Mann seine Steuererklärung selbst ? Wer macht wohl die Lohnsteuererklärung für seine Sekretärin. Und die Bafög-Abrechnung seiner Studenten ? Er selbst ? Wohl kaum.

Dann ergreift Siebert das Wort und wendet sich an Götz Werner: Deutschland habe keine Ölquellen, mit denen man ein bedingungsloses Grundeinkommen finanzieren könnte. Hartz IV habe nun endlich zu einer Senkung des Erwartungslohns geführt, des Lohnes, den ein Arbeitsloser erwartet, um wieder zu arbeiten. Um 20 %. Das bedingungslose Grundeinkommen würde den wohl wieder erhöhen. Die Erwerbsmoral der jungen Generation würde durch ein bedingungsloses Grundeinkommen unterminiert. Die jungen Menschen hätten keinen Anreiz, Humankapital zu bilden, sprich sich auszubilden, einen Beruf zu erlernen, ein Studium erfolgreich zu absolvieren etc.. Das, was man in der Schattenwirtschaft hinzuverdienen könnte, würde allemal zum Leben reichen. Zur Finanzierung des Grundeinkommens wäre eine Einkommenssteuer in Höhe von 78 % erforderlich. O-Ton: „Das Risiko in der Sahara sein Leben zu riskieren, erscheint gering angesichts der Möglichkeit, als Nigerianer sein Einkommen um das 46-ig-fache zu steigern. Neben einer gigantischen Völkerwanderung aus Afrika kämen auch all die EU-Bürger nach Deutschland, die ungern arbeiten. Hinzu käme der Konsumtourismus aus Deutschland in die anderen europäischen Länder, die eine niedrigere Mehrwertsteuer haben. Das Anspruchsdenken würde forciert, die politische Ökonomie gesteigert. Werner habe keine Finanzierungsrechnung vorgelegt. Sozialversicherungsbeiträge könnten für die Finanzierung nicht aufgewendet werden. Ein Grundeinkommen von 1500 € im Jahr würde Finanzierungskosten in Höhe von 1,5 Billionen pro Jahr ausmachen. Dann blieben für die Erwerbsarbeit, den Faktor Kapital nur 200 Mrd. € über. Das sei unmöglich.

Was nicht zur Sprache kam: Im Auftrag von Althaus hat das Institut, dem Siebert früher vorstand, das Gegenteil von dem geschätzt, was Fuest „errechnet“ hatte: Thomas Straubhaar und seine Mitarbeiter vom Institut für Weltwirtschaft schätzen, 1,17 Millionen neue Vollzeitstellen würden entstehen und die Finanzlage des Sozialstaates um 46 Mrd € verbessern, weil die grössten Beschäftigungseffekte im Niedriglohnbereich erzielt werden, als bei den Gering-Qualifizierten, deren Arbeitslosigkeit seit mehr als drei Jahrzehnten strukturbedingt steigt.

Straubhaar meint, durch das Bürgergeld würden mehr Menschen in der Lage sein, auch einer Beschäftigung nachzugehen, die allein nicht ihren Lebensunterhalt finanziert. Sie würden deshalb geneigt sein, heute Stellen anzunehmen, die es bisher gar nicht gab. Fuest und Siebert gehen vom Gegenteil aus. Sie befürchten, dass mehr Menschen überhaupt keiner Erwerbsarbeit nachgehen wollen. Sie wollen einen existenzsichernden Sozialtransfer an die Arbeitspflicht knüpfen, also einen Kombilohn statt des Bürgergeldes. Den damit verbundenen bürokratischen Aufwand halten sie für vernachlässigbar.

Dann kamen die im Bundestag vertretenen Parteien zu Wort. SPD dagegen, Grüne skeptisch, FDP für Bürgergeld mit Bedürftigkeitsnachweis und Linkspartei für das bedingungslose Grundeinkommen. Die Differenzen zwischen FDP und Althaus waren am geringsten wie die zwischen Linkspartei und Werner. Die Schilderung des üblichen Parteiengeplänkels erspare ich mir.


DER SCHLÜSSEL ZUM ERFOLG: „DIE NEGATIVE PROGRESSION“

Manchmal entwickelt man ja selbst ökonomischen Ehrgeiz. Deshalb ein Vorschlag, der zwischen Althaus und den Herren Professoren vermittelt. Hartz IV bietet wenig Anreize, legale Zusatzjobs anzunehmen, weil der beim „Empfänger“ verbleibende zusätzliche Lohnanteil viel zu gering ist. Damit bildet das Arbeitslosengeld II heute faktisch den Mindestlohn auf Monatsbasis. Nur wenn man mindestens genauso viel verdient, wie ALG II und Wohngeld gemeinsam einbringen, lohnt sich eine Arbeitsaufnahme. Die Reduzierung des Erwartungslohns, die Siebert richtiger weise befürwortet, ist keine Folge der Einführung des ALG II, sondern kommt aufgrund des Wegfall der Arbeitslosenhilfe zustande. Diese aus Steuermitteln bezahlte Transferleistung orientierte sich nicht am Existenzminimum, sondern am früheren Einkommen des Beziehers. Deshalb hatte er auch nur einen Anreiz eine Arbeit aufzunehmen, wenn diese in etwa seinem früheren Einkommen entsprach. Nun erhält er nach Ende des Arbeitslosengeldes nur noch das ALG II, er stellt sich also auch besser, wenn er ein niedrigeres als sein ursprüngliches Einkommen erzielt, so lange es ein wenig über dem Hartz IV Satz liegt.

Genauso verhält es sich mit dem Bürgergeld. Allerdings hat bereits das Althaus – Modell einen verbesserten Anreiz als Hartz IV, sozusagen gleitend in den Arbeitsmarkt einzusteigen. Denn von dem, was der Arbeitslose hinzuverdient, will Althaus ihm nur die Hälfte vom Bürgergeld abziehen. Das verbessert den Anreiz jeden Bürgers gegenüber dem Status Quo in jedem Fall und müsste gerade die Erwerbsneigung steigern. Es hat dieselbe Wirkung wie der Kombilohn, nur eben auf freiwilliger Basis und nicht auf der Basis von Zwang. Der Staat braucht nicht regulierend einzugreifen. Gleichzeitig zahlt der Arbeitslose noch keine Steuern. Das Bürgergeld für Besserverdienende bei Althaus führt zu einem Missverständnis. Denn deFacto ist die Belastung für die Besserverdienenden und die Niedrig-Verdienenden in etwa gleich, weil die einen das doppelte Bürgergeld der Anderen kriegen.

Es spricht allerdings vieles dafür, von der Althaus-Variante zur ursprünglichen negativen Einkommenssteuer zurückzukehren. Das Bürgergeld beträgt genau die Hälfte des steuerlichen Grundfreibetrages. Um den Arbeitsanreiz zu verstärken, verläuft die Anrechnung des eigenen Verdienstes jedoch nicht linear, sondern progressiv. Je weniger ich zusätzlich verdiene, desto mehr darf ich davon behalten. Je mehr ich zusätzlich verdiene, desto höher ist die Anrechnung an das Bürgergeld. Durch den doppelten Freibetrag werden die Bürger, die mehr als das doppelte des Bürgergeldes verdienen, denen annähernd steuerlich gleich gestellt, die das Bürgergeld beziehen. Der Haupteinwand von Fuest, der geringere Anreiz zu arbeiten, wird durch die negative Progression aufgehoben. Es lohnt sich immer, etwas hinzu verdienen. Wenn man von den ersten 100 € nichts abgeben muss, dann wird man schnell bereit sein, eine Arbeit aufzunehmen. Wenn von den zweiten 100 € nur 12,5 %, von den Dritten 100 € 25 % abgezogen werden, erhalten gerade die besonders niedrig qualifizierten einen Anreiz, sich an der Wertschöpfung zu beteiligen. Und durch diese Beteiligung wird bereits ein Teil des Einkommens wieder durch Einkommens- und Gewinnsteuern bei anderen zurückgeführt.
Entscheidend für das Gelingen des Konzeptes ist die wirksame Unterbindung der Schwarzarbeit. Dies kann nur durch eine grundsätzliche andere Anwendung der Einkommenssteuer erreichen. Dienstleistungen, Immobilien und Güter, die auf der Basis von Erwerbsarbeit entstehen, müssen grundsätzlich abzugsfähig sein. Nur so werden die Auftraggeber automatisch darauf bestehen, dass „mit Rechnung“ gearbeitet wird. Wer also sein Auto reparieren lässt, sein Dach neu decken lässt oder eine Wärmeschutzdämmung in seinem Haus anbringen lässt, Sonnenkollektoren auf dem Dach installiert, kann dies etwa bei einer „selbst genutzten Immobilie“ genauso von der Steuer absetzen können, wie bei einer „Fremdgenutzten.“ Damit entstünde die Steuerpflicht nicht beim Einkommen des Bürgers, sondern beim Gewinn des Unternehmers.

Bedenkt man, dass der Anteil der Schwarzarbeit in Deutschland heute 17 % des Inlandproduktes beträgt, also rund 300 Mrd €, so ergeben sich bei einem angestrebten Steueranteil von 25 % (neben der Gewinnsteuer fallen die Einkommenssteuern der Mitarbeiter als zusätzliche Einnahmen und die niedrigeren Aufwendungen an Bürgergeld an), so wären so rund 75 Mrd € zusätzliche Einnahmen zu erwarten. Dass ist ungefähr die Deckungslücke, die Fuest dem Althaus-Modell unterstellt. Das weist auf den geringen Erkenntniswert der ökonometrisch-basierten Modelle hin.

Zum Bürgergeld gibt es genauso wenig eine Alternative wie zur Flat-Tax á la Kirchhoff, deren Erklärung auf den besagten Bierdeckel passt. Althaus hat aus dem Scheitern von Merz und Kirchhoff in der real-existierenden Parteiendemokratie übrigens seine Konsequenzen gezogen und organisiert seine „Bürgergeld-Initiative“ bewusst außerhalb der CDU. So wehte wieder einmal ein Hauch von Merz durch den CDU-Fraktionssaal. Und das im April.