Wednesday, June 20, 2007

Das Gegenteil

von Neoliberalismus ist die Sozialdemokratie. Sagt Kurt Beck in einem programmatischen 12.000-Wörter-Aufsatz ganzseitig in der FAZ vom letzten Montag. Lauscht man den Reden auf dem Wiedervereinigungsevent der Rechtsnachfolgerin der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, so ist das Gegenteil von Neoliberalismus Sozialismus. Das provoziert die Frage, worin besteht der Unterschied zwischen Sozialdemokratie und demokratischen Sozialismus, der sich mindestens als Worthülse auch im Grundsatzprogramm der SPD findet. Und den good old Hans-Jochen Vogel (der mit der Klarsichthülle) seiner Partei empfiehlt. Lafontaine, Gysi, Bisky und dem wegen seiner DDR-Vergangenheit als SED-Bezirkssekretär „abgestraften“ (O-Ton in seiner Begrüssungsrede der dritten Tagung des 10. Parteitags der Partei des Demokratischen Sozialismus – die Linke) Hans Modrow kann man nicht vorwerfen, sie hätten nicht gesagt, was sie wollen. Die freudige Unterstützung von Chavez, Morales und den anderen "Unterdrückten" des südamerikanischen Kontinents, die Demokratische Kontrolle des Eigentums und die Verstaatlichung und „Kommunalisierung“ von ganzen Wirtschaftszweigen beenden die Chance auf individuelle Freiheit nachhaltig. Um die Schnittmengen zwischen Christsozialen, Sozialdemokraten und demokratischen Sozialisten besser zu begreifen, ist es wohl am einfachsten, zu beschreiben, wogegen sie gemeinsam sind. Vielleicht lässt sich daraus erkennen, was sie wirklich wollen. Und was dieser Willen produziert.

Was also ist „Neoliberalismus“ wirklich ?

In den dreissiger Jahren, als es um die Sache der Freiheit wohl nicht gut bestellt war, war die Diskussion zwischen unabhängigen und liberalen Geistern heftig, ob der bisherige „Laissez-Faire“ – Liberalismus in der Lage wäre, noch einmal die kollektivistischen Diktaturen wie den real existierenden oder den Nationalsozialismus zurück zu drängen. Hinzu kam die Erkenntnis, dass ein völlig freier Wettbewerb auch aufgrund unterschiedlicher Ausgangsbedingungen nicht zu einem angestrebten ideellen Gleichgewicht führt, sondern zu Verzerrung, marktbeherrschenden Stellungen und Kartellen, die in der Lage sind, ihre Interessen gegen andere durch zu setzen.

Das Ergebnis: Wettbewerb braucht Regeln. Die die Freiheit des Schwachen schützen, vor der Mehrheit, vor dem Starken und vor dem potentiellen Monopolisten. Alexander Rüstow prägte für diese Idee der Garantie der individuellen Freiheit den Begriff NEOLIBERALISMUS auf dem Colloque Walter Lippmann, an dem zahlreiche Intellektuelle aus allen Herren Länder teilnahmen.

Im gleichen Jahr veröffentlichte Walter Eucken, ordentlicher Professor im nationalsozialistischen Deutschland das Manifest des späteren Ordoliberalismus: „Die Grundlagen der Nationalökonomie“. Dringendster Lesebefehl.

In einer Zeit, in der spätere tragende Säulen unserer Demokratie noch in der Reiter-SA Dienst tun oder zur vermeintlichen Erlangung eines Studienabschlusses der NSDAP beitreten, veröffentlicht der ordentliche Professor an der Universität Freiburg unter dem Rektor Martin Heidegger eine neue Definition von Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, die zwangsweise den real existierenden Sozialismus und den Nationalsozialismus als Ideologie verklären und die Wirkungsweise ihrer Wirtschaftssysteme auf eine Stufe stellt.

Beides sind nach Eucken Zentralverwaltungswirtschaften, bei denen ein zentraler Plan den Wirtschaftssubjekten aufzwingt, wie sie sich zu verhalten haben. Dabei ist egal, wie die Zentrale legitimiert ist oder welche Ideologie sie verfolgt. Entscheidend ist, dass die Zentrale jeden einzelnen zwingen muss, den Plan auch dann zu verfolgen, wenn er nicht den Interessen des Bürgers oder des einzelnen Betriebes entspricht.

Eine Marktwirtschaft setzt deshalb voraus, dass die Bürger frei über ihr Eigentum verfügen können. Nur in diesem Fall besteht die Möglichkeit, im Rahmen eines Wettbewerbs selbst zu entscheiden, zu welchem Preis an welchen Geschäftspartner ein Produkt veräussert oder eine Dienstleistung angeboten, gekauft oder in Anspruch genommen werden soll.

Die Hoffnung, dass der zweite Weltkrieg Europa von der Zwangswirtschaft befreit, erfüllte sich nicht. Im Gegenteil. Waffenbewehrt verwandelte sich sein Ende zum Siegeszug des Stalinismus durch Halb Europa. Ein ähnlicher Kreis wie 1939 sammelte sich am Fuß des Mont Pélerin um zu diskutieren, wie der damals möglich erscheinende „Weg in die Knechtschaft“ (F.A. von Hayek) abgewendet werden könnte. Der nach dem Berg benannte Think-Tank war geboren. Für die ineternationale Reputation der Mont Pelerin Society spricht die Tatsache, dass nicht Popper, Eucken oder Ludwig Erhard auf der Seite der notable Members aufgeführt werden, sondern lediglich die acht Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaften.

Zwei Jahre später führt Ludwig Erhard im Handstreich das ein, was später Wirtschaftswunder genannt werden wird (Erhard: Es gibt keine Wunder). An einem Sonntag-Nachmittag verkündet der damalige Beamte der Verwaltung der von den Westmächten besetzten Alliierten das Ende der Zwangswirtschaft. Als Lucius D. Clay ihm am nächsten Tag vorwirft, alliertes Recht eigenhändig verändert zu haben, meint er lakonisch: „Ich habe es abgeschafft.“

Das Ende der sozialen Marktwirtschaft beginnt schon 1957 mit der von Erhard eingeführten umlagefinanzierten dynamischen Rente. Und mit ihr beginnt Deutschlands schleichender Abstieg. Meint jedenfalls Gabor Steingart in seinem ersten Buch "Deutschland, der Abstieg eines Superstars" 2004. Endgültig zu Ende geht das neoliberale Zeitalter in Deutschland schon 1967 mit dem Erlass des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes durch die große Koalition. Dieser in Gesetzestext gegossene Keynesianismus gibt der Wirtschaftspolitik fortan vier Ziele vor, die vor seinem Erlass in schöner Regelmässigkeit fast alle erreicht wurden. Danach nie: Aussenwirtschaftliches Gleichgewicht, Preisstabilität, Vollbeschäftigung und ein ausgeglichenes Budget. Lediglich die Preisstabilität wurde regelmässig erreicht: Durch die (Neoliberale) monetaristische Politik der unabhängigen Bundesbank.

Vierzig Jahre später haben wir mehr als 5 Millionen Menschen ohne Arbeit und rund 7 Billionen € Staatsschulden. Das Wachstum blieb in den vergangenen Jahrzehnten so weit hinter dem europäischem Durchschnitt zurück, dass in Großbritannien oder Spanien höhere Durchschnittseinkommen erzielt werden wie in Deutschland.

Die „Entprivatisierung“ der grossen Risiken durch die umlagefinanzierte Sozialversicherung führte in Wahrheit zu einer schleichenden Enteignung insbesondere der mittleren und unteren Einkommensschichten, die durchschnittlich rund 60 % ihres erwirtschafteten Einkommens für Steuern und Sozialversicherungsabgaben (inkl. des „Arbeitgeberanteils“) abgeben mussten und so von jeder privaten Kapitalbildung ausgeschlossen wurden, weil sie das verbleibende Geld für den Lebensunterhalt brauchten. Über ihr Einkommen entschieden sie nicht mehr selbst, sondern der demokratisch legitimierte Gesetzgeber und allerlei Selbstverwaltungsorgane vom Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeit bis hin zum Fernsehrat (Rat heißt auf Russisch übrigens Sowjet).

Heute leben wir in einer Zentralverwaltungswirtschaft mit einem überbordenden Bürokratiemoloch und einem schrumpfenden marktwirtschaftlichen Ausnahmebereich, der mit seiner Wertschöpfung das Ganze finanziert. Erschwerend kommt hinzu, dass ein erheblicher Teil dieses marktwirtschaftlichen Bereichs aufgrund des hohen Kostendrucks für das, was landläufig Sozialstaat genannt wird, und ein Sozialbudget von rund 700 Mrd € (rund die Hälfte des Bruttoinlandproduktes) sich wahlweise ins Ausland oder in die Schattenwirtschaft verabschiedet.

Auch der amerikanischen Ausprägung des Neo-Liberalismus kann man keine soziale Kälte unterstellen. Sie wollen nicht keinen Staat, sondern weniger Staat als die Neo-Marxistisch geprägten Gleichgewichtstheoretiker und Sozialisten. Milton Friedman etwa wollte nicht nur die Sozialbürokratie mit der negativen Einkommenssteuer verringern, in dem nur noch das Finanzamt Steuerlast und Anspruch auf Transferleistungen ausrechnet und die Differenz fordert oder einzahlt. Sondern auch denen, die nicht in der Lage sind ihr Einkommen vollständig selbst zu erwirtschaften, ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Auch ist sich die neoliberale Schule mit den „Globalisierungskritikern“ durchaus einig, dass eine weltweit verflochtende Wirtschaft Regeln braucht. Das Leitmedium des „Neoliberalismus“, der britische Economist hat ein Holzboot auf vertrocknetem Boden veröffentlicht, als die DOHA-Runde der Welthandelsorganisation an den Industriestaaten scheiterte, die ihre Märkte nicht für Agrarprodukte öffnen und die entsprechenden Subventionen insbesondere auf den Export in die Dritte Welt nicht abschaffen wollten. Verloren haben diejenigen, die gar nicht an der Globalisierung beteiligt werden. Und die Welthandelsorganisation taucht in den Feindbildern gar nicht auf. Warum nur ?

Wer den Neoliberalismus als wenig geerdet bezeichnet, wie Kurt Beck, hat wohl mehr als nur eine Bildungslücke. Wer ihn als „Marktradikalismus“ diffamiert, wie Oskar Lafontaine, weiß bestenfalls nicht, wo von er redet. Von einer kleinen Anzahl großer Männer, die in schwerer Zeit gegen den herrschenden "Zeitgeist" geistige Größe bewahrt haben und deren Theorien und Wissenschaft dazu geführt hat, dass wir heute wissen, wie wir die Freiheit der Schwachen schützen könnten.

Beck, Lafontaine, Sommer, Bsirske und wie sie alle heissen, sei gesagt: Das Gegenteil von Freiheit ist Unfreiheit. Das Gegenteil einer Wettbewerbswirtschaft ist die Zentralverwaltungswirtschaft, das Gegenteil eines freiheitlichen Rechtsstaates ist eine Diktatur und das Gegenteil von Privat ist die „Entprivatisierung“, wie der Wirtschaftsweise Rürup so etwas nennt. Wer gegen den Neoliberalismus polemisiert ist für die Unfreiheit aller Menschen. So lange es einen gibt, der keinen „Sozialismus“ will, muss der dazu gezwungen werden. Selbst wenn er alleine steht oder eine Minderheit ausmacht. Dazwischen gibt es nichts.

Monday, June 11, 2007

Große Taschen

Als der Chef der Deutschen Entwicklungsbank DEG in den 80iger Jahren auf einem Empfang in Afrika gefragt wurde, was ihm am schwarzen Kontinent am meisten gefiel, antwortete er: Die prächtigen Stammesgewänder und Landestrachten. Mit stolz geschwellter Brust nahmen die zahlreichen anwesenden Potentaten und Diktatoren die vermeintliche Lobpreisung entgegen, bevor der Mann nachsetzte: Die haben so große Taschen.

Die werden nach dem Gipfel in Heiligendamm noch praller gefüllt, ohne dass notwendigerweise mit den bewilligten 44 Mrd € oder 60 Mrd $ irgend etwas besser wird.

Der liberale afrikanische Ökonom James Shikwati macht seit Jahren damit von sich reden, dass er die Einstellung jeder Entwicklungshilfe fordert. Hat er zunächst nur bemängelt, dass diese, dort, wo die Rohstoffeinnahmen nicht zur Errichtung eines korrupten Regimes reichen, zur Finanzierung eben dieser Diktatur führen. Und festgestellt, dass die subventionierten europäischen Agrargüter – und da handelt es sich blöderweise nicht nur um die Statlerschen Hühnerschenkel, sondern um flächendeckendes Preisdumping mit europäischen Steuermitteln – einen eigenen Markt nicht zu lassen. Verboten gehören nicht der Export europäischer Agrargüter, sondern die Subvention des Exportes und die Subvention der Produktion. Schon im eigenen Interesse. Subventionen und garantierte Abnahmen zum Festpreis machen nämlich für die Hersteller die Überproduktion sinnvoll, weil sie im Vorhinein wissen, dass sie jedes Stück loswerden. In einem Marktsystem würde der „Schweinezyklus“ greifen. Wie beim Türken um die Ecke, der das zu viel eingekaufte Gemüse am Tagesende billiger verkauft, um wenigstens seinen Einstandspreis zu erhalten. Die Überproduktion, die dank Exportsubvention auch noch in Afrika die Preise verdirbt, würde mit anderen Worten ausbleiben.

Mittlerweile, stellt er in der FR fest, leisten sich der Westen und China einen bizarren Wettbewerb, um mit Entwicklungsgeldern Wohlverhalten zu kaufen. So alimentieren die Chinesen den Sudan großzügig, um sich dessen Ölreserven langfristig zu sichern und halten großzügig im Weltsicherheitsrat die Hand über das Regime, das derweil in Ruhe seinen Völkermord in Darfur vollenden kann.

Das süße Gift der Entwicklungshilfe erlaubt es den Ländern, auf ein funktionierendes Steuersystem, das ihnen Einnahmen aus eigenem Recht überhaupt erst ermöglicht, zu verzichten. Es gibt keinen Grund, die Entwicklung einer leistungsstarken Wirtschaft zu unterstützen, die mit Einkommen und Gewinn in der Lage wäre, diese Steuern dauerhaft zu garantieren, bemerkt Shikwati. Braucht man neue Mittel, sucht man einen Donor in der entwickelten Welt.

In einem marktwirtschaftlichen Umfeld würden viele Aufgaben, die heute durch Entwicklungshilfe finanziert werden, von afrikanischen Unternehmen erledigt und vom Markt finanziert. Das allerdings würde die Macht der Potentaten einschränken und die Abhängigkeit des Volkes von den von ihnen verteilten Zuwendungen senken.

Wer Zweifel an der Richtigkeit der Hypothesen des Kenianers hat, dem sei der Bericht eines Korrespondenten im Economist aus dieser Woche empfohlen, der dort vor vierzig Jahren Dienst zu Zeiten der Unabhängigkeitserklärung tat und nun das Land wieder besuchte.

Die Infrastruktur ist im Vergleich zur Kolonialzeit verfallen. Die Zeit für die Fahrt von Nairobi nach Mombasa hat sich aufgrund der zahlreichen Schlaglöcher und dem schlechten Fahrbahnzustand der Strasse von vier auf acht Stunden verdoppelt. Die Stammesfehden sind nicht überwunden. Aber Korruptionsfälle gibt es zuhauf. Gegen die nicht einmal die neue Regierung, der er ansonsten gute Noten ausstellt, etwas ausrichtet. Andererseits scheinen viele Erfolge nicht wegen der Regierung eingetreten, sondern trotz ihr.

Eingangs erwähnt er, dass zwei Farben in jedem Dorf Konjunktur haben: Die der regionalen Mobilfunkbetreiber, die im Einerlei die Prepaid-Shops markieren. Der Bauer kann sich jetzt nach den Preisen für seinen Sack Zwiebeln erkundigen, bevor er einen ganzen Tag dazu verwendet, auf den Markt zu fahren. Nachdem der Staat es vierzig Jahre nicht geschafft hat, eine Infrastruktur für Telefonie zu schaffen, haben die privaten mir nichts dir nichts das in vierzig Jahren versäumte aufgeholt. Weiß auch Shikwati in der Frankfurter Rundschau, die ein bemerkenswertes Special zum Thema Afrika zum G8-Gipfel veröffentlicht hat.

Schon in den achtziger Jahren hat der liberale Nationalökonom Carl Christan von Weizsäcker auf nur eineinhalb Seiten skizziert, wie drei Innovationen die Konsumentensouveränität erhöht haben: Der Kühlschrank macht Waren länger haltbar, weshalb man mehr als den Bedarf eines Tages einkaufen kann. Das Telefon erhöht die Leichtigkeit und den Radius der Information und das Automobil verbessert Reichweite und Transportkapazität. Eine Verbesserung der Lebensqualität von der der ganze Kontinent noch weit entfernt ist, dessen Bevölkerung nach wie vor in einem atemberaubenden Tempo wächst, was zwangsweise zur Verslumung ganzer Regionen führt, in denen es eben nun wenigstens Mobiltelefonie, aber keine Elektrizität gibt. Shikwati weist in der FR darauf hin, dass in Kenia die Liberalisierung des Mobilfunkmarktes einen Zuwachs von 75 % bewirkt hat. Ein weiteres Indiz dafür, dass nicht die Globalisierung das Problem ist, sondern die faktische Ausgrenzung eines ganzen Kontinents aus der weltweiten Arbeitsteilung.

Die muss nicht so platt organisiert sein, wie Statler in seiner amnüsanten Hühner-Hugo-Polemik formuliert, die eine brilliante Definition von Globalisierung (Senkung der Transaktionskosten) und eine falsche Bewertung des europäischen Preisdumpings auf dem afrikanischen Kontinent liefert (ein sehendes Huhn verfehlt auch mal ein Korn).

Michael Holmes macht auf achgut.de auf ein anderes Phänomen aufmerksam, das im übrigen den lauten Hypothesen von Attac und anderen „Globalisierungsgegnern“ fundamental widerspricht: Entwicklungshilfe ist kollektiv organisiert und demokratisch kontrolliert. Sie funktioniert nach den Regeln des Plans und der Zentralverwaltungswirtschaft und nicht nach dem Prinzip der Menschenrechte und der Freiheit des Individuums. Kollektiv organisiert ist auch die Verantwortung und die Einhaltung der vorher gesetzten Ziele. Alle sind für alles verantwortlich aber niemand ist individuell schuld, wenn die Ziele nicht erreicht werden. Dass der zitierte Text daneben mit einem weit verbreiteten Irrtum aufräumt, ist ein zusätzliches Verdienst: Er weist darauf hin, dass die „Armutsfalle“, die kollektive Entwicklungshilfe von Weltbank oder IWF zur staatlichen Organisation möglich mache, gar nicht besteht: Wenn die Grundannahme stimmt, nur hohes Einkommen und die Chance der Kapitalbildung könnten über Produktivitätszuwächse zu Wachstum führen, müssten die entwickelten Länder ein höheres Wachstum ausweisen, als die armen Nationen. Tatsächlich weisen die Entwicklungsländer zumeist ein höheres Wachstum aus als die wohlhabenden Industrienationen.

Die bisherige Entwicklungshilfe ist daran gescheitert, die Länder Afrikas fit für den weltweiten Wettbewerb zu machen. Gerade heute berichtet die FAZ, dass etwa in Uganda die Keks-Produktion aus Strommangel danieder liegt. Entwicklungshilfe ist ein moderner Ablasshandel, mit dem wir unsere Marktabschottung und den neuen Ökoprotektionismus rechtfertigen, der nur die Entwicklungschancen der Schwellenländer wg. Klimaschutz beschneiden will.

Würden wir ernst machen mit dem Kampf für eine gerechte Welt, müssten wir unsere Märkte für Produkte aus Afrika öffnen und unsere Exportsubventionen sofort und unsere Agrarsubventionen wenigstens sukzessive abschaffen, um den Landwirten in Europa die Chance zu geben, sich um zu orientieren, während in Afrika die Kinder weiter verhungern.

Die kollektive Entwicklungshilfe gehört eingestellt. An ihre Stelle könnte ein neuer „Marshal-Plan“ für Afrika stehen, der nicht Staaten, sondern einzelne Unternehmen und Personen direkt fördert. Wie beim Marshal-Plan nicht in Form von verlorenen Zuschüssen, sondern von Bürgschaften und Krediten. Die, wie die Mikro-Kredit-Idee des Nobelpreisträgers Muhammad Yunus so gar zu Zinsen von 20 % ausgereicht werden können, die hier zu lande als Wucher gelten würden. Ein Fahrrad, mit dem man seine Ernte auf den Markt bringen kann, eine Kühltruhe, die in einem Laden zur Sortimentserweiterung führt und die Haltbarkeit der Güter verlängert, ein Mobiltelefon, mit dem man die gerade gültigen Preise für die geernteten Kartoffeln erfahren kann, eine Nähmaschine, mit der Kleider hergestellt und verkauft werden können, Dünger, mit dem der Ertrag des Feldes gesteigert werden kann, können mit Mikro-Krediten finanziert werden. Der höhere Zins resultiert aus der Bearbeitungsgebühr, die aus einem marktüblichen Zins nicht zu finanzieren wäre und macht so für die Bank aus der Angelegenheit auch ein profitables Geschäft.

Das eingesetzte Kapital wächst und kann immer wieder neu verwendet werden. Es entstehen Gewinne und Einkommen, aus denen Steuerpflicht erwächst. Mit den Steuern kann der Staat unmittelbar in die Infrastruktur investieren und so die Produktivität durch ein funktionierendes Stromnetz, intakte Strassen und leistungsfähige Nahverkehrsmittel steigern. Daneben kann er aus diesen Steuereinnahmen eine ordentliche Justiz finanzieren und die öffentliche Sicherheit mit einer funktionierenden Polizei sichern. So wird ein Schuh draus.

Sunday, June 03, 2007

Die These von der globalen Interdependenz der Ordnung

Walter Euckens grösster Verdienst ist die These von der Interdependenz der Ordnungen, die er in den dreissiger Jahren in den „Grundlagen der Nationalökonomie“ just in der Stadt formulierte, in der sich der bekennende Katholik und später von seinem Nach-Nach-Nachfolger zum Widerstandskämpfer geadelte Hans Filbinger dem nationalsozialistischem Zeitgeist nicht entziehen könnte, obwohl er später behauptete, im Umfeld des ordoliberalen Kreises um Eucken und Franz Böhm angesiedelt zu sein, bei dem er immerhin studiert haben soll.

Eucken macht schon damals Schluss mit dem Märchen von Kommunismus und Sozialismus und weist auf das hin, was noch gut 60 Jahre grausame Realität in Europa bleiben soll. Es gibt nur zwei Sorten von Wirtschaftssystemen: Eine Marktwirtschaft, in der das eingesetzte Wissen aller Teilnehmer maximal ist und die im Wettbewerb ihre Koordinierungsentscheidungen trifft. Und eine Zentralverwaltungswirtschaft, in der dieses Wissen auf das der zentralen Plankommission beschränkt ist, die für die Gemeinschaft alle Entscheidungen trifft.

Diese Entscheidungsgewalt setzt die Macht voraus, Wirtschaftssubjekte und Menschen zum plankonformen Verhalten zu zwingen. Damit dürfen sie über sich und ihr Eigentum nicht verfügen können und dürfen sich der Weisungsgewalt der zentralen Plankommission nicht entziehen – etwa durch Flucht. Ihre Freiheit, über ihr Eigentum frei zu verfügen, muss zwangsweise ebenso eingeschränkt werden wie ihre Berufsfreiheit. Sie müssen dort funktionieren, wo die zentrale Planbehörde sie hinstellt.

In der Marktwirtschaft muss die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen gesichert sein. Seine Freiheit muss geschützt sein. Schutz braucht die Freiheit des Schwachen vor der Freiheit des Starken. Dafür braucht es eine staatliche Ordnung, die diese Freiheit des Schwachen schützt und seine Würde sichert.

In einer verflochtenen Weltwirtschaft muss es der Anspruch sein, diese Interdependenz der Ordnungen überall durch zu setzen und Freiheit und Menschenrechte zu garantieren, abseits vom Rechtsinstitut des so genannten Völkerrecht, dass die Potentaten des 19. Jahrhundert einst entwickelt haben, um sich vor einander zu schützen, nicht ihre Völker, die sie gern und immer wieder in den Krieg geschickt haben.

Die Weltwirtschaftsordnung wird nicht auf den G8 – Gipfeln weiter entwickelt, sondern bei der Welthandelsorganisation, wo entwickelte und sich entwickelnde Länder übrigens völlig gleichberechtigt an einem Tisch sitzen und interstaatenrechtlich völlig verbindliche Vereinbarungen treffen.

Dort zu demonstrieren, würde lohnen. Denn der Prozess steckt in einer handfesten Krise. Die Entwicklungsländer fordern völlig zu recht, dass die Industriestaaten ihre Agrarmärkte öffnen, ihre Landwirtschaftssubventionen einstellen und aufhören, ihre subventionierten Überschüsse als milde Gaben nach Afrika zu schicken, wo sie für die einheimischen Bauern die Preise kaputt machen und die dringend erforderlichen Produktivitätsfortschritte verhindern.

Die globale Interdependenz der Ordnung meint Chancengleichheit für alle Menschen. Menschenrechte und Freiheit und nicht die Garantie von Souveränität von Diktaturen und deren Finanzierung durch Entwicklungshilfe. Wo marktwirtschaftliche Entwicklung, Verflechtung in die Weltwirtschaft und e i g e n e Wertschöpfung entsteht, brauchen die Leute Wissen und Bildung. Sie werden mündige Bürger und wollen in einer Demokratie und vor allem in einem freiheitlichen Rechtsstaat leben, in dem sie selbst entscheiden. Und nicht irgendwelche Gutmenschen in Rostock.

Thursday, May 24, 2007

....erkämpft das Menschenrecht

Heiner Geissler hat den Schritt von der katholischen Soziallehre zum Neomarxismus endlich geschafft. Er ist Attac beigetreten, dem „gewaltfreien“ Ast der „Globalisierungsgegner“. Er begründet seinen Beitritt mit dem Recht auf Demonstration, das er durch scheinbar übertriebenen Sicherheitsmassnahmen durch die Einrichtung einer temporären Innerdeutschen Grenze zwischen dem Nobelort Heiligendamm und dem Rest der Republik und die prophylaktische Einrichtung eines Guatanamo Light für Demonstranten gefährdet sieht. Dabei übersieht der gute Mann, dass – anders als in Russland etwa beim Russland-EU-Gipfel – die Anhänger von Attac für ihre Ansicht sehr wohl auf die Strasse gehen dürfen, nur eben nicht unmittelbar auf dem Grenzweg zur Absperrung des 12 Millionen € teuren Zaunes. Schließlich haben sich die Demonstranten zum Ziel gesetzt, eben jene Demarkationslinie zu überwinden – ohne gewaltsame Auseinandersetzung wohl kaum zu erreichen. Da kann eine 200 m breite Pufferzone die Meinungsfreiheit wohl kaum gefährden.

Nicht nur Geissler und der G8 – Gipfel machen es nötig, sich einmal genauer mit den Argumenten von Attac auseinander zu setzen. Sondern auch, weil die deutschen Medien allenfalls die zukünftigen Demonstranten dabei filmen, wie sie üben, „gewaltfrei“ den Straftatbestand der Nötigung zu erfüllen. Wie weiland Gert Bastian und Petra Kelly in Mutlangen haken sie sich bei ihrer Sitzblockade unter, um möglichst lange zu verhindern, von der Polizei weggetragen zu werden. Was täten die G8-Gegner eigentlich, wenn es keinen Gipfel gäbe. Würden sie ohne Zaun überhaupt das Nobelhotel in Heiligendamm stürmen wollen?

Für den Marxismus war das Jahr 1989 die Katastrophe. Nicht der Kapitalismus brach wie vorhergesagt zusammen. Zwar machten Arbeiter und Bevölkerung Revolution. Aber gegen die sozialistisch getaufte Zwangswirtschaft der Diktatur von Stalins Jüngern. Damit war eine ganze Ideologie offenbar gescheitert und diskreditiert. In ihrem Namen waren doch die größeren Verbrechen begangen worden, nicht im Interesse des Großkapitals. Halb Europa hatte man nur unter Androhung des Schusswaffengebrauchs ein halbes Jahrhundert zu Armut und Verzicht gezwungen, während die andere Hälfte mit Hilfe eines atomaren Overkills davon abgehalten wurde, den Aufständischen von Berlin, Prag und Budapest oder den Streikenden von Danzig zur Hilfe zu eilen. Es galt einen neuen Grund zu finden, warum der Kapitalismus eine verwerfliche, (un)- menschliche Ideologie war, die der Kontrolle und Enteignung bedarf. Es brauchte ein neues Feindbild und einen neuen Grund für die Anwendung der marxistischen Theorie.

Kapitalismus ist nicht die Bezeichnung eines Wirtschaftssystem, sondern ein marxistischer Kampfbegriff, der in der Theorie eine historische Phase bezeichnet, in der die Produktionsfaktoren Boden und Arbeit durch überproportionale „Profite“ des Faktors Kapital ausgebeutet und in der Substanz gefährdet werden. Die Steigerung von Kapital ist für die weithin marxistisch geprägte Öffentlichkeit Finanzkapital. In der Vergangenheit gerne genommen wurden dann auch noch die Zusätze jüdisch und/oder international. Darum handelt es sich, wenn so genannte Spekulanten einfach mit Geld Geld verdienen und des nicht für Investitionen in der „realen Welt“ einsetzen.


1. Internationales Finanzkapital und Tobin-Steuer

Der neue Marx hieß Tobin. Statt Revolution und plumpe Enteignung, wollte der die Substanz von Devisengeschäften mit scheinbar läppischen 0,2 % besteuern und diese über die Weltbank an Entwicklungsländer „umverteilen“. Je häufiger ein „Finanzspekulant“ also sein Kapital umschlägt, desto häufiger fällt die Steuer an, die sein Kapital vermindert. Wer seinen Kapitaleinsatz also täglich umschlägt zahlt in der Woche 1 % Steuern auf diese Substanz und in 52 Wochen eben 52 %. Attac rechnet damit, dass rund 1,1 Billionen € alltäglich umgeschlagen werden von denen nur rund 40 – 60 Mrd € von der so genannten realen Wirtschaft benötigt würden, um den Verkehr mit realen Waren abzuwickeln. Mit der Tobinsteuer wurden also nur 2,2 Mrd € pro Tag gewonnen, rund 11 Mrd € pro Woche und eine schlappe halbe Milliarde im Jahr, die dann die Weltbank für die Ärmsten der Welt erhielte, wenn die Spekulanten ihr Verhalten nicht ändern würden. Das aber genau wollte Tobin erreichen. Sein Ziel war, kurzfristige Spekulation unattraktiv zu machen und so Währungsschwankungen zu reduzieren.

Sein Vorschlag ist aus der Zeit zu verstehen, in der er gemacht wurde. 1972 stand das System von Bretton Woods, in dem feste Währungskurse und die Goldbindung des Dollars galten, vor dem Zusammenbruch. Um den Vietnamkrieg zu finanzieren, hatten die USA die Gelddruckmaschine angeworfen und die Geldmenge erhöht. Der Dollarkurs von 4,20 DM war nicht mehr zu halten. Genauso wenig wie die Garantie der US-Zentralbank, jederzeit jeden Dollar in Gold aufzuwiegen. Wer sich aber die Entwicklung der Weltwirtschaft zwischen 1944 und 1973 anschaut, könnte auf die Idee kommen, dass die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten der Mitgliedsländer, Inflation und Arbeitslosigkeit und nicht zuletzt der Zusammenschluss der Öl-Fördernden Länder ein System ad absurdum führten, in dem Zentralbanken immer wieder durch Kauf oder Verkauf von Währungen das System stabil halten sollten, während die Menschen und Unternehmen frei waren, Devisen zu kaufen oder zu verkaufen.

1972, als Tobin seinen Vorschlag machte, war der Finanzmarkt unterentwickelt. Es gab keine Instrumente zur Währungsabsicherung, Optionen und Termingeschäfte. Weil es bis dahin Bretton Woods gegeben hatte. In Europa versuchte man in der Nachfolge mit der europäischen Währungsschlange und später dem europäischen Währungssystem innerhalb der europäischen Gemeinschaft feste Wechselkurse zu vereinbaren und durch Kauf und Verkauf von Währung durch die Zentralbanken zu ermöglichen. Damals war Spekulation gegen das System ein sicher gewinnbringendes Konzept, weil die Interventionen der Zentralbanken erzwungen und sicher vorher zu sehen waren. Und das war der Grund, warum die drei Systeme Bretton Woods, Währungsschlange und EWS scheiterten, letzteres an der Spekulation des als „Globalisierungsgegner“ berühmt gewordenen George Soros. Erst die Währungsunion in Europa wurde zu einem Erfolg, weil sie durch die Einführung der Einheitswährung den Handel der unterschiedlichen Devisen unterband. Ob das Auseinanderfallen zwischen der Hoheit für Währung, Finanzpolitik und Wirtschaftspolitik auf Dauer nicht auch eine Euro-Krise nach sich zieht, wird sich noch erweisen. Alle drei Vorgängersysteme waren das, was Attac wollte: der durch Demokratische Wahlen legitimierte Versuch, Spekulation und Währungsschwankungen zu verhindern. Nur leider scheiterte er immer wieder an der Realität.

Spekulation schadet niemand. Sie verteilt Risiken auf verschiedene Schultern. Der Finanzmarkt hat sukzessive das getan; woran Bretton Woods, Währungsschlange und EWS gescheitert sind. So können heute Automobilunternehmen z.B. Währungsrisiken auf mehrere Jahre absichern und damit mit konstanten Einnahmen rechnen. Diejenigen, die ihnen zusichern, etwa den Dollar auf zwei oder drei Jahre zu einem festen Wechselkurs umzutauschen, sichern sich ihrerseits bei anderen Spekulanten ab, die ihre Währungsvorräte kurzfristiger umsetzen. Dabei hat jeder einen Gewinn, das Geschäftsmodell der verteufelten "Hedge-Fonds" basiert darauf, Risiken für andere zu übernehmen. Das Automobilunternehmen verzichtet im Gegenzug zur Risikominimierung auf den maximal möglichen Gewinn und erhält im Gegenzug eine sichere niedrigere Einnahme. Die Differenz wird letztlich unter den Marktteilnehmern aufgeteilt. In der Spieltheorie nennt man das eine „Win-Win-Situation“.

Das konnte Tobin 1972 nicht wissen. Was ihm zu gute zu halten ist. Aber heute ist erkennbar, dass nicht die Spekulation zur Krise von Währungssystemen geführt hat, sondern die Tatsache, dass die Spekulanten sich die offensichtlichen Fehler der „demokratisch legitimierten“ Finanz- und Wirtschaftspolitik zu Nutze gemacht haben. Was letztlich dazu geführt hat, dass sie ein System, das latent gefährdet war, zum Einbruch gebracht haben, bevor es zu noch größeren Schäden gekommen wäre. Das gilt für die mit Dollar-Milliarden künstlich aufgeblähten Tigerstaaten Südostasiens genauso wie für das britische Pfund, das bereits überbewertet war, als es dem EWS 1990 beitrat.


2. Werden die Armen wirklich immer ärmer

Attac hat i.B. auf die weltweite Einkommensentwicklung die Hypothese aufgestellt, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer würden. Schuld daran sei – richtig – die neoliberale Globalisierung, wo auf entfesselten Märkten das brutale kapitalistische Recht des Stärkeren gilt. Verschärft würde dieser Effekt durch die internationalen Finanzspekulationen.

Auf seiner deutschen Homepage belegt Attac dies aufgrund von Zahlen der UN über den Zeitraum von 1960 bis 1997. Die Entwicklung seit 1997 ist also nicht berücksichtigt. Richtig ist, dass der Unterschied zwischen den Einkommen der Ärmsten der Welt im ausgewählten Zeitraum gewachsen ist. Das liegt aber nicht an der zunehmenden weltweiten Wirtschaftsteilung, sondern an der gewachsenen Produktivität und der durch die Gewerkschaften erstrittenen Beteiligung an der gewachsenen Wertschöpfung in den Industriestaaten. In den Entwicklungsländern war dieser Produktivitätsfortschritt bescheiden, weshalb dort auch keine Einkommenssteigerungen realisiert werden konnten. Auch die Finanzmärkte profitieren nicht von den Ärmsten der Welt. Zwischen beiden gibt es schlicht keine Berührungspunkte. Zudem gilt immer noch das alte Sprichwort: Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen.

Betrachtet man die tatsächliche Entwicklung anhand des jüngsten Zahlenmaterials der Weltbank, so stellt sich ein völlig anderes Bild. Die absolute Armut auf der Welt nimmt ab und nicht zu. Zwischen 1999 und 2004 haben 135 Millionen Menschen es geschafft, erstmals ein Einkommen von über einem Dollar zu erzielen. Seit 1990 ist diese Zahl von 29 auf 18 % der Bevölkerung der Entwicklungsländer gefallen und hat erstmals eine Milliarde unterschritten. Selbst in Afrika ging die Zahl derjenigen, die unter einem Dollar pro Monat verdienen, um fast fünf Prozent zurück.

Selbst in den 19 ärmsten Ländern der Welt ist die Armut absolut um 1,3 Prozent gesunken, während die Volkswirtschaften um nur einen Prozent gewachsen sind. Länder mit mittleren Einkommen erzielten ein Wachstum von 6,2 %, China und Ostasien sogar um die 10 %. Diese Zahlen sind seit Beginn der Neunziger Jahre, also seit Wirksamwerden dessen, was Attac Globalisierung nennt, besonders stabil und diese Länder sind mit zunehmender Intensität Teil der weltweiten Arbeitsteilung.

Besorgniserregend ist die Entwicklung in den Ländern, die über kein gefestigtes staatliches Gewaltmonopol verfügen und in denen dauerhafte interne und externe Konflikte zu Krieg und Gewalt geführt haben. Sie haben kein oder ein unterdurchschnittliches Wachstum, und die Zahl der absolut armen bleibt bei ihnen auch erschreckend hoch. Auch wenn Vietnam oder Uganda zeigen, dass solche Schwierigkeiten auseinander driften würden.

Ein klarer Beleg für Euckens These von der "Interdependenz der Ordnung", die besagt, dass eine Marktwirtschaft einen freiheitlichen Rechtsstaat bedingt und umgekehrt.

Auch in den entwickelten Ländern, behauptet Attac Deutschland würden die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer. Insbesondere die Bevorzugung der Unternehmen sei nicht hinzunehmen, die immer weniger Steuern zu zahlen hätten und sich nicht an der Infrastruktur beteiligt. Schuld daran seien die gesenkten Steuersätze, die zu immer geringeren Steuereinnahmen führen würden.

Dabei übersehen unsere gutgläubigen Spitzenökonomen, dass die Unternehmenssteuer in der Regel nur eine Vorsteuer ist. Sie wird mit der individuellen Einkommenssteuer desjenigen verrechnet, an den der Gewinn ausgeschüttet wird. Ist der persönliche Steuersatz höher, muss nachversteuert werden. Und der wurde in Deutschland von der großen Koalition gerade auf 45 % (Stichwort Reichensteuer) erhöht.

Und gerade die internationale Finanz-Community trägt zum Gemeinwesen bei. Die 350.000 Mitarbeiter des Finanzsektors zahlen 20 % des gesamten Steueraufkommens. Nicht des deutschen, sondern des Aufkommens Großbritanniens. Sagt der Economist in seiner Ausgabe vom 03. Februar 2007, also in einem Land, wo trotz 10 Jahren Labour niedrigere und einfachere Steuersätze gelten und die Unternehmenssteuerreform des zukünftigen Premierministers neben der Reduzierung der Unternehmenssteuern auf 30 % mit einem Investitionsfreibetrag von 50.000 Pfund einhergeht (ca. 75.000 €), während in Deutschland die degressive Abschreibung abgeschafft werden soll.

In einer verflochtenen Weltwirtschaft konkurrieren Staaten. Entscheidend sind Infrastruktur, Sicherheit und Kosten. Steuern sind Preise und nicht länger Zwangsabgaben, die mit dem Prügel vom Potentaten eingetrieben werden können. Und Bürokratie ist ein Investitionshemmnis.

Im Wissenszeitalter haben die traditionellen Industriegesellschaften alle Chancen dieser Welt. Und die sich entwickelnden Gesellschaften auch. Arbeitsteilung funktioniert nur dann, wenn alle davon profitieren, die an dieser Arbeitsteilung Anteil haben. Und sich ihm stellen. Und nicht durch Zölle und Zinsschranken andere ausschließen. Die dann versuchen herzukommen, statt ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten.



3. Glokale Demokratie

Eine der Hauptforderungen von Attac ist die demokratische Kontrolle der internationalen Finanzmärkte und insbesondere Währungsgeschäfte. Das Kunstwort Glokal meint eine neue Subsidarität. Die Weltbevölkerung soll gemeinsam über die Dinge abstimmen, die sie in ihrer Ganzheit betrifft. Die Völker einzelner Staaten nur über die Dinge, die sie selbst angehen.

Einer der Haupteinwände gegen den so genannten G8 – Gipfel ist die mangelnde demokratische Legitimation dieser Institution. Allerdings handelt es sich gar nicht um eine solche. Sondern um ein informelles Treffen, das von Versammlungs- und Vertragsfreiheit des Grundgesetzes gedeckt ist und völkerrechtlich für niemanden bindend ist. Natürlich ist das Abschlusskommunique von Gewicht. Und es ist demokratisch legitimiert, zumindestens weitgehend. Schliesslich kann man an der Legitimation des russischen Präsidenten zweifeln, weil dieser zwar einer Wahl entsprang, aber wesentliche Rechte in einer Demokratie wie eben Versammlungsfreiheit oder das Recht auf freie Meinungsäusserung werden unter faktischer Androhung des Todes unterlaufen.

Die demokratische Kontrolle des internationalen Finanzkapitals meint den Entzug des Verfügungsrechtes durch den Eigentümer. Das Verfügungsrecht ist aber das wesentliche Merkmal des Eigentums. Was nützt mir eine Million auf dem Konto, wenn ich sie nicht bewegen, nicht anlegen, nicht investieren und auch nicht ausgeben darf. Attac meint nicht Demokratie. Sondern Enteignung des privat gehaltenen Finanzkapitals. Marxismus pur.

Wie die glokale Demokratie funktionieren soll, sagt Attac nicht. Welche Institutionen sollen gegründet werden. Sollen Staaten international auftreten, wie in der UN. Haben wir ein Interventionsrecht, wenn deren Staatenführer nicht entsprechend den Gepflogenheiten der Demokratie ermittelt wurden, sondern sich an die Macht geputscht haben. Wie soll geregelt werden, was demokratisch auf der Globalen und was auf der lokalen Ebene entschieden wird.

Die entscheidende Qualität der Demokratie ist, dass sie Köpfe zählt und nicht ab- oder einschlägt. Über die Qualität des Ergebnisses sagt das wenig aus. Und wenn wir keine Weltwirtschaftsordnung wollen, sondern eine Weltwirtschaftsorganisation, müssen alle dem Ergebnis der Abstimmung, dem Ziel der Organisation folgen. Das Ende individueller Freiheit wäre die Konsequenz. Und die tatsächliche Enteignung des privaten Kapitals.

Attac ist nichts anderes als die legitime Nachfolgerin der Kommunistischen Internationale, deren Kampflied auf jeder Massenversammlung der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands und ihren kommunistischen Waffenbrüder zuletzt von greisen Stimmen kräftig intoniert wurde: „Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht! Völker, hört die Signale! Auf, zum letzten Gefecht! Die Internationale erkämpft das Menschenrecht.“(worüber sich jedes Mal der Rechteinhaber, ein gewisser Medienmanager mit Namen Beierlein freute, weil die Tantiemen sprudelten.

Da ist aus gutem Grund nicht von Völkerrecht die Rede. Sondern von Völkern. Und von Menschenrecht.

Hannes Stein hat am 29. April auf dem Potsdamer Platz um fünf vor zwölf drei Fragen gestellt. Es hatte sich eine Handvoll Demonstranten anlässlich des internationalen Darfur Days zusammen gefunden, um bereits alljährlich gegen die Verbrechen und Morde in jener Region des Sudans zu demonstrieren, die deshalb nicht wahr genommen, weil weniger CNN-Kameras im ganzen Land zu finden sind wie auf einem einzigen Marktplatz in Bagdad. Die drei Fragen waren: Wo ist die Linke. Wo sind die Intellektuellen und Vertreter der Betroffenheitsindustrie. Wo sind die Vertreter der Muslime, die gegen Karikaturen demonstrieren, aber nicht, wenn ihre Glaubensbrüder umgebracht werden. Ich stelle eine Frage zusätzlich. Wo waren die „Globalisierungsgegner“, wo war Attac. Oder ist die Sudanesische Regierung ausreichend demokratisch legitimiert. Wäre die Beteiligung an dieser Demonstration nicht mehr gerechtfertigt, als medienwirksam am Zaun in Heiligendamm zu rütteln ? Aber in Darfur gibt es keine Wasserwerfer, ja nicht einmal Wasser. Sondern Gewehrkugeln und keine Kameras, die die Botschaft der „Globalisierungsgegner“ in die Welt tragen und im Anschluss neue Mitglieder und neue Spenden akquirieren.

Sunday, May 13, 2007

Stalins später Sieg

Das waren noch Zeiten. Alljährlich siegte dann doch Ralph Siegel beim "Televoting" und der "Eurovision Song Contest" hiess noch "Grand Prix de la Chanson d´Eurovision".
Jugoslawien war noch nicht in diverse "Former Yugoslavian Republic" genannte Staaten aufgeteilt, weil Tito das ganze zusammenhielt. Zwar durfte man ausreisen aber im eigenen Lande gab es die "Arbeiterselbstverwaltung", eine besondere Spielart des Sozialismus, die etwas effizienter als die Zentrale Planwirtschaft sowjetischen Typs war und weniger effizient als die Marktwirtschaft. Trotzdem produzierte Volkswagen einen auf dem Golf I basierenden Pritschenwagen mit dem Namen Caddy, jugoslawische Fussball- und Handballtrainer waren prominent, auch wenn das bekannteste Markenzeichen das Cevapcicci vom "Jugoslawen" war, dessen Grillplatten sich in Preis und Masse nur mit denen des "Griechen" messen lassen konnten, während wir vom Italiener hauptsächlich Pizza kannten.

Heute hat die europäische Rundfunkunion 42 Mitglieder inklusive der Türkei, Georgiens, der Ukraine oder Israel. Ländern, die auf den ersten Blick nicht dem Stammland Europas zuzurechnen sind. Auch das Mitgliedsland Russland ist nach dem weitverbreiteten geographischem Verständnis allenfalls bis zum Ural Bestandteil des Kontinents.

Seit ich verheiratet bin - also mehr als 10 Jahre - ist der "Grand Prix", wie es im allgemeinen Sprachgebrauch heisst, Pflichtveranstaltung und wird im Zweifelsfall selbst im türkischen Fernsehen im Urlaub verfolgt. Der Komponistenwettstreit zwischen Ralph Siegel und Alf Igel (unter dem Pseudonym schrieb Stefan Raab seinen ersten Titel für Guildo Horn) war amüsant und letzterer bescherte uns regelmässig einen achtbaren Platz unter den ersten 10.

Spätestens seit dem Sieg Estlands, auf dem just der des Nachbarlandes Lettland folgte, haben die Osteuropäer trotz der Aufregung des Westens erkannt, dass sie gewinnen können, aber nicht zahlen müssen. Das ärgert die Big Four Spanien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die mit ihrer Alimentierung zwar den Startplatz im Finale erkaufen, nicht aber Stimmen und Zustimmung.

Gewiss sind sich die Balten und der Balkan näher in Mentalität und Musikgeschmack. Und stimmen deshalb gerne füreinander ab, während etwa die Deutschen von den österreichischen Nachbarn selten einmal 12 Punkte einfahren konnten.

Aber die Verbrüderung hat auch andere Gründe. Gerade ist uns gewahr geworden, dass Estland eine starke russische Minderheit hat. Wie die Nachbarn Litauen und Lettland. Aber eben auch wie die Ukraine, Weißrussland oder Georgien. Serben leben nicht nur im eigenen Staat. Sondern auch in Mazedonien, Bosnien-Herzegovnia, Montenegro und und und. Und Türken gibt es bei uns in ausreichendem Umfang (auch wenn das andere Gründe hat).

Die Ergebnisse des "Grand Prix" sind Spätfolgen des österreichischen Vielvölkerstaates und seiner stalinistischen Konservierung. Staaten decken nicht die tatsächlichen Lebensräume einzelner ethnischer Gruppen ab und der Stalinismus hinterliess in vielen Ländern russische Minoritäten. Demokratisch oder fair ist dieser Wettbewerb allemal nicht, wenn die Anzahl der Bürger Maltas, Andorras oder des Baltikums das gleiche Gewicht haben wie die Russlands, Deutschlands oder Grossbritanniens. Aber die Chancen der Litauer, Letten, Esten, Weissrussen, Ukrainer, Georgier wachsen natürlich durch die zwangsweise Ansiedlung russischer Minderheiten zu stalinistischen Zeiten. Dass hier allerdings Lesben und Drag-Queens auf die Bühne treten, macht das ansonsten allseits präsente Einerlei der Drum-Machines fast schon vergessen.

Dass entlastet die Geberländer nicht von besserer Performance. Was in diesem Fall ausnahmsweise nicht für den deutschen Beitrag gilt, der wie im letzten Jahr eingedenk des sonst zur Haute getragenen Antiamerikanismus nach Country nun Swing auf eine alteuropäische Bühne brachte. Auch wenn Stalin und Tito sich freuen würden, dass ihre Vielvölkerei wenigstens bei einem Show-Wettbewerb funktioniert. Bevor die Minoritäten sich wieder in kriegerischen Konflikten üben.

Saturday, May 12, 2007

Zahlensalat !

Fritz Schäffer brauchte keine Steuerschätzer. Der erste Bundesminister der Finanzen von 1949 – 57 schaffte es, in seiner Amtszeit ein Plus von 8 Mrd DM zu erwirtschaften, was heute etwa 35 Mrd € entsprechen würde. Nach dem Aufbewahrungsort des „Reichskriegsschatzes“ in der Spandauer Zitadelle wurde seine sparsame Haushaltsführung Finanzpolitik des Juliusturms genannt. Um ein solches Ergebnis zu erreichen, brauchte der katholische Bayer keine externe Expertise. Der „Arbeitskreis Steuerschätzung“ bestehend aus Bundesministerium für Finanzen, für Wirtschaft, den sechs „großen Wirtschaftsinstituten“, dem statistischen Bundesamt, der deutschen Bundesbank, dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, den Länderfinanzministern und den kommunalen Spitzenverbänden nahm erst 1955 seine Arbeit auf. Nachdem Schäffers Guthaben für die Bundeswehr verwendet wurde, gab es seither allenfalls gelegentlich einen annähernd ausgeglichenen Haushalt. Die offen ausgewiesene Verschuldung der Bundesrepublik Deutschland beträgt 1,5 Billionen Euro. Die vom Bundespräsident Horst Köhler, neben dem Finanzminister der einzige Ökonom in den höchsten deutschen Staatsämtern (allerdings mit internationaler Erfahrung bei Osteuropabank und Internationalem Währungsfonds), bezifferte die versteckte und offene Verschuldung (ungedeckte Pensionszusagen für Beamte, nicht durch zukünftige Beitragszahlungen gedeckte Rechtsansprüche aus der Sozialversicherung) auf über 7 Billionen €. Grund genug sich einmal mit dem Erkenntnisgewinn auseinander zu setzen, den die alljährliche Schätzung uns wirklich bringt. Und jener Arbeitskreis Steuerschätzung bringt die Republik zum Jubeln. Nahezu unendliche Ausgabenzuwächse werden Bund und Ländern in Aussicht gestellt und wecken schon Begehrlichkeiten aller Art. Und das wohl kaum zu Recht.

Zweimal im Jahr trifft sich der geballte ökonomische Sachverstand in Form des Arbeitskreises. Im Mai wird eine große Prognose für die nächsten 5 Jahre gewagt, Anfang November ein wenig auf die kurzfristige Sicht korrigiert. Aber auch mit einer gewissen Unschärfe. Die Steuereinnahmen 2002 etwa waren um 6 Mrd € höher als noch am 6. November desselben Jahres vom Schätzerkreis erwartet. Das ist eine Ungenauigkeit von 3 Mrd € pro Monat. Aufs Jahr hochgerechnet ergäbe das einen Korridor von rund 36 Mrd. €.

Auf vier Jahre ergeben das rund 120 Mrd € Schwankungsbreite. Und in denen bewegen sich die mit viel Euphorie verkündeten 87 Mrd € zusätzlichen Einnahmen des Bundes bis 2011. Und die Homepage des Bundesministers der Finanzen beeilt sich, zeitgleich mit der Veröffentlichung mit einer hübschen interaktiven Grafík klar zu machen: Bus auf ein paar Milliärdchen ist das alles schon verplant. Wer das für zu kurzfristig hält, dem sei ein weiteres Zahlenbeispiel vorgehalten:

Die letzte Schätzung, die sich also an der Realität bewähren kann, stammt aus dem Jahr 2002. Damals schätzte man die Steuereinnahmen des Bundes des Jahres 2006 auf satte 231,3 €, 27,4 mehr als die tatsächlich erreichten blassen 203 Milliarden €, fast jenen Betrag, der in der Herbstschätzung 2006 für das Jahr 2007 (230,5 Mrd €) ausgewiesen wurde. Vergleicht man die Schätzung von 2002 mit den realen Ergebnissen so ergibt sich ein Minus von satten 91,9 Mrd € alleine für den Bund. Das sind nur 6 Mrd € mehr als das Minus der Schätzung 2002 ausmacht. Nimmt man die 2001 erzielten 193,6 Mrd € zum Maßstab, so hätte die Schätzung ein Plus gegenüber den realen Einnahmen (nicht den Schätzungen) von 98,8 Mrd € zur Folge gehabt, das sind mehr als die bis 2012 avisierten 87 Mrd €. Weil der „Schätzerkreis“ lediglich die Abweichungen der letzten Schätzung mit den realen Ergebnissen ausweist und ansonsten lediglich auf die Differenz der jeweiligen Schätzungen abstellt, verwässert und immunisiert er das Ergebnis seiner Arbeit gegen Kritiker.

Anders ausgedrückt: Es ist kein Wunder, dass Fritz Schäffer ohne den Schätzerkreis die bessere Haushaltspolitik gemacht hat. Der Erkenntnisgewinn durch diese Gruppe orientiert sich an der Qualität der zentralen Plankommission der Deutschen Demokratischen Republik. Nicht die Abweichung von der Realität wird gemessen, sondern die vom Plan. Anders gesagt: Die Welt als Wille und Vorstellung (s.a. Schopenhauer) dient alljährlich als Grundlage für die Aufstellung des Staatshaushaltes. Dabei ist schon die so erheblich, dass die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Instrumente der deutschen Finanzpolitik begründet sind.

Für die fehlerhaften Prognosen gibt es drei Gründe. Zunächst einmal ist das schwierige an ihnen, dass sie die Zukunft betreffen (Mark Twain). Dann versuchen sie in einer komplexen arbeitsteiligen Welt das Wirtschaftswachstum vorher zu sagen. Welche Auswirkungen auf die Weltökonomie hätte aber ein angekündigter Nuklear-Angriff des Iran auf Israel. Oder ein terroristischer Anschlag auf einen Ölhafen oder eine Pipeline. Oder ein vorübergehender Gas-Boykott Russlands gegen Mitteleuropa zur Durchsetzung höherer Preise wie gegen die Ukraine oder Weißrussland. Oder ein Erdbeben. Oder oder oder.

Zweitens wachsen die Wirtschaft und das Volkseinkommen damit ja nicht linear. Meistens nehmen etwa die Exporte stärker zu als die inländische Nachfrage. In diesem Fall können Unternehmen Gewinne und damit ihre Steuerpflicht leicht auf ausländische Tochtergesellschaften verlagern, in dem sie denen niedrigere Verrechnungspreise in Rechnung stellen. Dann würden die Steuereinnahmen weniger stark steigen.

Lag etwa die so genannte Beschäftigungsschwelle bei 2,5 % Wirtschaftswachstum (also dem Wachstum, ab dem wieder eingestellt wird), so ist diese offensichtlich durch Hartz IV erheblich gesunken. Damals erhielten Arbeitslose im zweiten Jahr Arbeitslosenhilfe, die zwar steuerfinanziert wurde, sich aber trotzdem am früheren Einkommen und Lebensstandard orientierte. Was die Neigung, eine schlechter bezahlte Aufgabe zu übernehmen, nicht erhöht. Das Arbeitslosengeld II ist dagegen für alle gleich hoch und soll lediglich das „Existenzminimum“ absichern. Dadurch sinkt der Erwartungslohn, ab dem der Erwerbslose bereit ist, zu arbeiten auf ein Niveau, das rund 20 % über Hartz IV liegt und nicht 20 % über ALG II. Die deutliche Beschäftigungszunahme bei geringem Wirtschaftswachstum hat aber wieder Folgewirkungen. Durch die Mitarbeit entsteht mehr Gewinn und damit steigt auch die Steuerpflicht des Unternehmens. Das ist in den alten „ökonometrischen Modellen“ so nicht angenommen worden und wurde vermutlich korrigiert.

Der letzte Grund liegt in der Komplexität und stetigen Veränderung des Steuerrechts. Das hat nicht nur die Aufgabe, Einnahmen für den Staat zu erzielen, sondern soll den Zielen der Regierung dienen. Der Staat erlässt Steuern bei Wohlverhalten, etwa wenn man in erneuerbare Energien investiert. Oder wenn man Wärmedämmungsmaßnahmen an seinem Eigenheim durchführen lässt. Er besteuert unterschiedliche Einkommen völlig unterschiedlich. Fünf verschiedene Einkommen kennt das Steuerrecht: etwa aus Arbeit, aus Kapitaleinkünften aus Vemietung und Verpachtung und aus Land- und Forstwirtschaft. Das ganze Steuerrecht ist ein System von kommunizierenden Röhren, an denen ständig herum gefuhrwerkt wird. Ob die einzelne Änderung aber den gewünschten oder prognostizierten Effekt hat, wird nirgends öffentlich und entzieht sich so der Überprüfung.

Allerdings macht sich auch keine deutsche Edelfeder oder Qualitätszeitung die Mühe, die Qualität der Prognosen und der Schätzer zu überprüfen. Als Prof. Paul Kirchhof, Richter am Bundesverfassungsgericht a.D., sein neues Einkommenssteuerrecht vorstellte, schallte es „unfinanzierbar“ aus allen Ecken. 42 Mrd. € Ausfälle im ersten und 12 Mrd in jedem weiteren Jahr seien zu befürchten. Macht in der Summe 88 Mrd €. Das sind nur 3 Mrd. € weniger als der kleine Betrag, um den sich die Schätzer 2002 vertan haben. Und dabei stimmt der Betrag nicht einmal. Weil die Steuerstatistik nicht das tatsächliche Einkommen und die tatsächlichen Gewinne erfasst, sondern nur die bereits um die Abzugsmöglichkeiten gekürzte „Bemessungsgrundlage“. Weil aber die vollständigen Einkommen nicht bekannt sind, kann auch nicht kalkuliert werden, wie hoch die Mehreinnahmen gewesen wären. Das war ein Grund. Der andere kommt später.

Wie so viele andere „moderne“ Instrumente der Wirtschafts- und Sozialpolitik ist der Arbeitskreis Steuerschätzung einfach nutzlos. Er dient der Verschleierung der tatsächlichen Entwicklung der Steuereinnahmen und soll für den Bürger unkenntlich machen, wie stark der Entzug privater Mittel für öffentliche Zwecke Jahr für Jahr anwächst. Warum braucht der Staat immer mehr Geld ? Gerade in besseren Zeiten müsste der Bedarf doch sinken und nicht um 50 Mrd. € steigen.

Für die Finanzplanung gibt es eine einfache verlässliche Meßlatte. Die tatsächlich eingenommenen Mittel des Vorjahres. Die haben fast schon eine keynesianistische Funktion. Wenn tatsächlich höhere Einnahmen erzielt werden, können diese für die tatsächliche Schuldentilgung verwendet werden. Nur in konjunkturell schlechten Jahren, in denen die Steuereinnahmen tatsächlich sinken wie in den vergangenen Jahren, ergibt sich ein – geringes – Defizit.

Aber selbstregulierende Mechanismen mag der Politiker nicht. Sie verhindern Stimmenmaximierung

Sunday, May 06, 2007

Die Vergesellschafter

Vor 30 Jahren zeigte das deutsche Fernsehen „Unser Walter“, einen Mehrteiler, der nicht aus dem seinerzeitigen Leben des Bundespräsidenten Walter Scheel berichtete. Mit seiner volkstümelnden Art wäre der geübten Sänger und Vorläufer Karl Moiks („Hoch auf dem gelben Wa a a gen, sitz ich beim Schwager vorn) gerade zu prädestiniert gewesen für die erste Doku-Soap. Stattdessen ging es um eine „ganz normale“ deutsche Familie und ihre Sorgen mit ihrem mongoloiden Sohn Walter im Alltag, der für geistig Behinderte beschwerlich war. Wim (Thoelke), Wum und später auch Wendelin kümmerten sich derweil um die Popularisierung der „Aktion Sorgenkind“, in dem ein mit Schirmmütze versehener Geldbriefbote (gab es damals noch) mit Namen Sparbier die Gewinner der Lotterie bekanntgab, die zum Wohle der Sorgenkinder vom Zweiten Programm des Deutschen Fernsehens veranstaltet wurde. Zwischen Raterunden und Showeinlagen trugen dann später beim „Großen Preis“ adrette Assistentinnen die Gewinnernamen auf Klemmbrettern auf die Bühne und durften gelegentlich auch einmal ihr Lesevermögen durch Bekanntgabe eines Gewinners unter Beweis stellen. Irgendwann, Wim war schon lange tot und die Gestaltung einer quotenträchtigen Show rund um das Lottoglück machte offensichtlich zunehmend Schwierigkeiten, fiel dann vermutlich irgendeinem bezahlten Minderheitenbeauftragten auf, dass „Sorgenkind“ genauso political incorrect war wie die Bezeichnung „mongoloid“ (Dow-Syndrom muss es heißen.) Ein Relaunch war geboten: Mit der „Aktion Mensch“ gerieten wir alle offensichtlich ins Visier der Gutmenschen vom Lerchenberg:

Die ehrenwerte Gesellschaft des Sozialstaats hat sich hier zusammengeschlossen: Von der Arbeiterwohlfahrt über den Deutschen Caritasverband, den Sozialverband Deutschland e.V., den Sozialverband VdK, das Weibernetz e.V. über die Unterstützer BUND, den Deutschen Berufsverband für Altenpflege e.V., Inkota, Oxfam, dem Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. bis hin zum „ideellen Unterstützer Deutscher Gewerkschaftsbund“ haben rund 90 Institutionen eine neo-marxistisch-christliche Gutmenschen-Allianz unter dem Motto „In jedem von uns steckt eine Bedürftige“(O-Ton) die Zielgruppe der alten Aktion Sorgenkind und ihr „Mission Statement“ radikal verbreitert. Dass die neu formierte kommunistische Internationale, die weltweit unter dem Namen Attac auftritt, inicht dabei ist, ist vermutlich nur deshalb nicht bei der gigantischen Sozialstaatskampagne „die Gesellschafter“ vertreten, mit der die Profiteure des Sozialbudgets ihren Aktionsradius, ihren Einfluss und ihr Budget zielgerichtet verbreitern will. Der Titel „Gesellschafter“, der üblicherweise mit ihrem Kapitaleinsatz haftende Teilhaber eines Unternehmens bezeichnet, ist gänzlich irreführend. Gemeint ist schließlich nicht die Übernahme von Verantwortung für das eigene Leben, sondern deren Abtretung an Caritas und Konsorten, also deren „Vergesellschaftung“, was man auch mit Enteignung gleich setzen kann. Bemerkt ähnlich auch Bodo Wünsch auf seinem hervorragenden Blog Freiheit, Markt, Recht, an dem er dankenswerterweise auch an den 30. Todestag Ludwig Erhards erinnerte.

Der Zweck der ganzen Angelegenheit wird offenbar, wenn man dem lesenswerten Blog „Wirtschaftliche Freiheit“ frönt, wo es der VWL-Professor Rainer Hank unternommen hat, die „heimlichen Gesächfte von Caritas, Diakonie & Co“ einer ökonomischen Analyse zu unterziehen:

„Von rund 1,5 Millionen hauptamtlich Beschäftigten und einem geschätzten Jahresumsatz von 55 Milliarden Euro ist die Rede. Allein die Zahl der Arbeitsplätze bei den großen Fünf der Mildtätigkeit hat sich seit 1970 mehr als verdreifacht. Ganz genau weiß das niemand, denn die Branche weigert sich beharrlich, ihre Zahlen offen zu legen. Konzernbilanzen sucht man vergebens.“

„Es ist merkwürdig, dass eine Wachstumsbranche im Dienstleistungsmarkt – der Klassiker für „Produkte“, die nicht von der Globalisierung bedroht sind, weil sie nur hierzulande „an Frau und Mann“ erbracht werden können – im chaotischen Niemandsland intransparenter Dunkelheit ihr Leben fristet: organisiert zwischen Schwarzarbeit und steuerlich privilegierter Gemeinnützigkeit und korporatistisch beherrscht von einem Oligopol einiger wohlfahrtspflegender Institutionen. Denn die Ratio würde eigentlich verlangen, dass solch personenbezogene Dienstleistungen ein Musterbeispiel einer marktwirtschaftlich organisierten Zukunftsbranche reicher Gesellschaften sein könnte.“

Aber die „Wohltäterindustrie“ hat einen anderen Anspruch für ihr ordentliches Auskommen:
„Anwalt der Benachteiligten“ will man sein und dafür zuständig, „Solidarität in der Gesellschaft“ zu stiften. So steht es in einem „Argumentationspapier“ der Caritas. Und diese bedingt natürlich nicht unternehmerische Tätigkeit, sondern gemeinnütziges Engagement, mit dem man 73 % seiner Einnahmen aus staatlichen Quellen generiert, ohne sich dem Druck des Wettbewerbs wirksam zu stellen. Nochmal Hank:

"Der anwaltschaftliche Diskurs erlaubt zugleich, sozialpolitische Forderungen zu Marketingzwecken zu nutzen, dies aber zugleich zu verschleiern. Wenn immer die Verbände die Kürzungen des Sozialstaates geißeln, dann tun sie das nicht nur im Namen der Nächstenliebe, sondern auch, um das finanzielle Wohlergehen ihrer eigenen Kindertagesstätten, Fortbildungshäuser und Beratungsdienste zu sichern. Die Wohlfahrtsindustrie lobt sich ganz offen dafür, die Einführung der Blümschen Pflegeversicherung erkämpft zu haben. Sie hat zugleich außerordentlich davon profitiert. Es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass die Branche sich jetzt auch besonders stark macht für das von der Leyensche Krippenbauprogramm. Angebotsinduzierte Nachfragesteuerung nennen Ökonomen dieses Verfahren. Es ist vor allem aus dem Gesundheitswesen bekannt.“

Besser hätte man die wahre Intension der bei den Gesellschaftern zusammengeschlossenen Sozialstaatsmafia nicht definieren können. Es geht schliesslich auch um die Beibehaltung der „Gemeinnützigkeit“. Alleine durch Entfall von Körperschafts- und Gewerbesteuer sparen die Wohltäter rund 600 Mio. DM, sie setzen Gratisressourcen in Form von Freiwilligen aber auch Zivildienstleistenden (für die das faktisch eine „Sondersteuer für junge wehrtaugliche Männer“ ist) und sie dürfen Spendenquittungen ausstellen (auch wenn das nur 3 % ihrer Einnahmen macht). Eine Tradition, die bereits im Jahre 1916 begann, als die katholische Caritas den Sozialstaat als Finanzierungsquelle entdeckte und damit das gigantische Wachstum der Sozialstaatsindustrie begann.

Trotzdem weist Hank darauf hin, dass private Anbieter, überall dort, wo sie auftreten, trotz Wettbewerbsnachteilen gegen die subventionierten Caritativen massiv Marktanteile gewinnen. Noch ein Grund, warum die „Gesellschafter“ Gewinnstreben und Unternehmertum verteufeln. Sie scheuen den Wettbewerb.

Die Kampagne ist hinterhältig, weil sie viele gutgläubige Gutmenschen vor einen kommerziellen Karren spannt, den sie doch mit Stempel auf der Website verneint und mit dem sie sich Medienpartnerschaften von ARD über Spiegel bis zum ZDF erschlichen hat. Es geht doch scheinbar um Teilhabe und Bürgergesellschaft, um Haftung geht es nicht. Die Medien stellen Bannerflächen und Werbezeiten kostenlos zur Verfügung, die vermutlich einen Millionenwert haben und von der Kampagne professionell bespielt werden. Testimonials, die ganz normale Bürger darstellen, werden perfekt ausgeleuchtet präsentiert. Gideon Boess hat die Absurdität dieser Aussagen bei WOMD perfekt persifliert.

Die teure Präsentation und die umfangreichen Vorteile, die offensichtlich einer Umsatzsteigerung und Gewinnabzielungsabsicht dienen, stellen das Privileg der Gemeinnützigkeit in Frage. In den Achtziger Jahren hat Otto Graf Lambsdorff im Hinblick auf die gescheiterten gemeinwirtschaftlichen Aktivitäten (oder sollte es besser gemeinen wirtschaftlichen heißen) des DGB bei „Neue Heimat“; „Bank für Gemeinwirtschaft“ und „COOP“ festgestellt: „Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz“. Dem wäre eigentlich nichts hinzu zufügen.

Wäre da nicht jene obskure Veranstaltung am vergangenen Sonntag, als eine handvoll Menschen durch Berlins Mitte zogen, um auf Hunderttausende Ermordete und Hunderttausende Vertriebene und Millionen Hungernde in Darfur, Sudan hinzuweisen. Wo waren sie da, die „Gesellschafter“. Aber es ging ja nicht um die Erträge der deutschen Sozialstaatsindustrie.